3. Südharz-Symposium 11.-12. Juni 1999 in Sundhausen - Stadt Nordhausen

 
Agenda 21 – Nachhaltige Entwicklung und intensive Landwirtschaft sind kein Widerspruch

Vortrag von Prof. Dr. Norbert Lütke Entrup
 

1. „Nachhaltige Entwicklung“ (Definition)

Die Diskussion um den Begriff „Nachhaltige Entwicklung“ hat seit dem Brundtland-Report der UNO von 1987 (WCDE 1997) fast alle Wirtschaftsbereiche, Verbände und politischen Organisationen erfasst. Der Report definiert den Begriff wie folgt:

„Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu gefährden, dass zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können.“
Die Entwicklung der Weltbevölkerung und des Verbrauchs vieler Ressourcen weist sehr deutlich darauf hin, dass wir die Tragfähigkeit unseres Planeten Erde immer mehr belasten und damit die Entwicklungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen begrenzen (BMU 1998 a). Vor diesem Hintergrund ist in Rio de Janeiro 1992 als gemeinsamer Handlungsrahmen von der „Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung“ die „Nachhaltige Entwicklung“ als zentrales Leitbild definiert worden. Die AGENDA 21, das Aktionsprogramm für den Übergang in das 21. Jahrhundert, fordert alle Staaten durch detaillierte Handlungsaufträge dazu auf, die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen sicherzustellen. In Deutschland wurde das Prinzip der Nachhaltigkeit 1994 als Staatsziel im Grundgesetz verankert.

Um eine Entwicklung zum „ökologischen Kollaps“ (Zitat BMU 1998 b) zu vermeiden, sind drei „Managementregeln einer nachhaltigen Entwicklung“ einzuhalten.

Diese beinhalten die Verpflichtung zur
Regeneration:Erneuerbare Naturgüter dürfen auf Dauer nur im Rahmen ihrer Regenerationsfähigkeit genutzt werden, andernfalls gingen sie zukünftigen Generationen verloren.
Substition:Nichterneuerbare Naturgüter dürfen nur in dem Maße genutzt werden, wie ihre Funktionen durch andere ersetzt werden können.
Anpassungsfähigkeit:Die Freisetzung von Stoffen oder Energie darf auf Dauer nicht größer sein als die Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme. (nach BMU 1998 b)

Der Handlungsrahmen der Agenda 21 ist Ausdruck eines globalen Konsenses, dessen Umsetzung Aufgabe der Regierungen ist. Im Kapitel 28 heißt es aber auch „Jede Kommunalverwaltung soll in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine „kommunale Agenda 21“ beschließen. Inzwischen haben über 800 kommunale Initiativen (Frühjahr 1999) die Aufstellung einer lokalen Agenda 21 in Angriff genommen oder bereits beschlossen. Die Landwirtschaft ist dabei relativ selten vertreten. Das Bundesland Bayern verfügt als erstes seit Dezember 1997 über die sog. „Bayern-Agenda 21 – für eine nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung in Bayern“ (Bay. StMGU 1998).
 

2. Nachhaltige Landwirtschaft – Aufgabe und Bedeutung

In der Einführung zur Agenda 21 heißt es (Zitat): „Im Jahr 2025 werden 83 % der Weltbevölkerung, die bis dahin auf voraussichtlich 8,5 Milliarden angewachsen ist, in den Entwicklungsländern leben. Es ist allerdings fraglich, ob die Kapazität der vorhandenen Ressourcen und Technologien ausreichen wird, um die Bedürfnisse der ständig wachsenden Bevölkerung in Bezug auf Nahrungsmittel und andere landwirtschaftliche Produkte zu befriedigen. Die Landwirtschaft muss dieser Herausforderung in erster Linie dadurch begegnen, dass sie die Produktion auf bereits bewirtschafteten Flächen steigert, gleichzeitig aber ein weiteres Vordringen auf nur begrenzt für eine landwirtschaftliche Nutzung geeignete Standorte unterlässt“ (Zitatende, BMU 1997 b). Die verfügbare Pro-Kopf-Getreidefläche ist ausgehend von 2300 m2 1950 im Verlauf der letzten 50 Jahre immer geringer geworden und wird für die Jahrtausendwende noch auf 1200 m2 geschätzt (SCHUG et al. 1996). Eine wachsende Bevölkerung kann deshalb nur über eine intensive Landwirtschaft mit effizienter Flächenbewirtschaftung und steigenden Erträgen ausreichend versorgt werden (KUHLMANN et al. 1998). Die Notwendigkeit dazu ergibt sich aus Schätzungen des Getreide-Importbedarfs der Entwicklungsländer in den nächsten 20 Jahren (Tabelle 1).

Tabelle 1: Getreide-Importbedarf der Entwicklungsländer (nach Schätzungen der FAO)


Weltgetreideproduktion heute ca. 2 Mrd. t
Bedarf im Jahre 2020 ca. 2,7 Mrd. t
Nettoeinfuhren der Entwicklungsländer
1990  ca. 80 Mill. t
heute ca.100 Mill. t
2020 ca. 274 Mill. t
Zunahme der jährlichen Getreideimporte
China ca. 46 Mill. t
Ostasien  ca. 58 Mill. t
Nordafrika + Naher Osten ca. 80 Mill. t
Wachsende Nachfrage auf den Weltmärkten wird befriedigt von:
Nordamerika, EU-Länder, Länder Mittel- und Osteuropa, Australien

Absatzpotential erweiterte europäische Union
ca. 85 Mill. t, davon derzeitige EU-Länder ca. 65 Mill. t

(Quelle: von Urff, TU-München. In: Daten/Fakten/Argumente 25/98)


Der Schwerpunkt zur Verwirklichung einer nachhaltigen Landwirtschaft wird besonders in der Verbesserung der Umweltverträglichkeit des konventionellen Landbaus gesehen, der sich mit dieser Zielsetzung aus Gründen der Produktivität und der Wirtschaftlichkeit sowie der sicheren Nahrungsmittelversorgung zum „Integrierten Landbau“ weltweit entwickeln wird.
Die Integration einer nachhaltig orientierten Landwirtschaft in den Agenda 21-Prozess – und insbesondere in die lokalen Agenda 21 – Prozesse – dürfte sich deshalb nur dann in der Bevölkerung einer breiten Akzeptanz erfreuen, wenn es gelingt, die Integration von Umwelt- und Naturschutzzielen als Leitziel der Landwirtschaft neben dem prioritären Ziel der Nahrungsmittelversorgung fest zu verankern. Hier ist noch Transfer- und Überzeugungsarbeit zu leisten. Durch „Nachhaltigkeit“ gekennzeichnete Landbausysteme müssen verschiedene Kriterien erfüllen, insbesondere Umweltverträglichkeit und Effizienz der eingesetzten Produktionsmittel. Unter diesem Blickwinkel kann eine nachhaltige Landwirtschaft nur schwer einem bestimmten Landbausystem zugeordnet werden.
 

3. Nachhaltige Landwirtschaft – Definition und Zielsetzung

Zur Definition einer nachhaltigen Landwirtschaft gibt es eine Vielzahl verschiedener Ansätze, die sich im Umfang und Präzisierungsgrad unterscheiden. Der umfassendste Ansatz (ALLEN et. al. 1991, in Christen 1996) ist wie folgt formuliert:

 „Eine nachhaltige Landwirtschaft ist ökologisch tragfähig, ökonomisch existenzfähig, 
sozial verantwortlich, rssourcenschonend und dient als Basis für zukünftige 
Generationen. Kernpunkt ist ein interdisziplinärer Ansatz, der die verschiedenen in 
Wechselbeziehung stehenden Faktoren berücksichtigt. Dies gilt für die gesamte 
Landwirtschaft sowie die verarbeitende Industrie im lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Maßstab.“
Diese Definition einer nachhaltigen Landwirtschaft berücksichtigt folgende Aspekte:
  • Sicherung der ökonomischen Existenzfähigkeit der landwirtschaftlichen Unternehmen
  • Erhalt der Produktionsgrundlagen Boden, Wasser, Luft und die Schonung dieser Ressourcen
  • Sicherung der Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen (intergenerationelle Gerechtigkeit)
  • Erhalt der biologischen Vielfalt, Schutz der natürlichen Ökosysteme, Erhalt der Agrarökosysteme
  • Verantwortung für die Nahrungsmittelversorgung einer wachsenden Weltbevölkerung und für die Nahrungsmittelqualität
  • Gesamtgesellschaftliche Verantwortung im nationalen und globalen Kontext.
Das Leitbild der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft ist damit in etwa charakterisiert, während die inhaltliche Ausgestaltung der Zielgrößen nur schwer zu fixieren und mit allgemein gültigen Wertvorstellungen auszufüllen ist. Die Gesellschaft insgesamt hat keine einheitlichen Wertvorstellungen von landwirtschaftlichen Produktionsverfahren hinsichtlich der Bewertung der Nachhaltigkeit. Es erscheint deshalb sinnvoll und zweckmäßig, landwirtschaftliche Produktionssysteme durch geeignete – wissenschaftlich abgesicherte – Indikatoren zu messen und darzustellen, die das Prinzip der Nachhaltigkeit charakterisieren.

Indikatoren, die Umwelteinwirkungen qualifizieren und Effizienzmaßstäbe beinhalten sind z.B. die Biodiversität, Nährstoffbilanzen, Energiebilanzen, CO2-Bilanzen, Erosionsgeschehen, Fruchtfolgesysteme, Ertragspotentiale, der chemische Pflanzenschutz, Strukturelemente, sozioökonomische Faktoren, Produktivitätsmaßstäbe u.a. mehr.

Der Integrierte Landbau berücksichtigt in besonderem Maße diese Indikatoren und ist deshalb als ein typischer Agenda-21-Entwicklungsprozess zu verstehen. Er stellt praktisch die Weiterentwicklung der konventionellen Landwirtschaft mit zusätzlicher Schwerpunktbildung im ökologischen Bereich dar, also die Schonung und Entwicklung der abiotischen und biotischen Ressourcen mit der Zielsetzung, dem Nachhaltigkeitsanspruch und damit der Zukunftssicherung gerecht zu werden.
 

4. Einzelaspekte nachhaltiger Bewirtschaftungssysteme –

4.1 Umweltdefizite im landwirtschaftlichen Sektor

Die Zielsetzungen nachhaltiger und umweltgerechter Produktionsverfahren verlangen zunächst Kenntnisse landwirtschaftsbedingter Umweltbelastungen, um Gegenstrategien zu entwickeln. Im Wesentlichen handelt es sich um Bereiche

  • des Bodenschutzes (Erosion, Verdichtung, Versauerung, biologische Aktivität)
  • des Schutzes der Grund- und Oberflächengewässer (Nitrat-, Phosphateinträge, Rückstände von Pflanzenschutzmitteln)
  • des Klimaschutzes (Anthropogener Treibhauseffekt zu etwa 10 % landwirtschaftsbedingt)
  • der Artenvielfalt oder Biodiversität.
Zu diesen ökologischen Problembereichen – soweit diese landwirtschaftsbedingt sind – sollen nur einige ausgewählte Lösungsansätze vorgestellt werden.

4.2 Düngung und Bilanzausgleich

BACH, FREDE und LANG (1997) berechneten für 1995 im bundesdeutschen Durchschnitt eine Stickstoff-Überbilanz von 111 kg/ha in der Landwirtschaft und betonen den Rückgang des Überhangs von ca. 27 % seit Ende der 80er Jahre und bei Phosphat und Kali um 50 – 60 % seit Anfang der 80er Jahre. In viehstarken Regionen Nordrhein-Westfalens ergeben sich nach WERNER und BRENK (1997) häufig positive N-Teilbilanzsalden (ohne Mineral-dünger), d.h., in diesen Regionen und Betrieben fällt mehr Stickstoff aus Wirtschaftsdüngern an, als für die Pflanzenproduktion benötigt wird. Berechnungen von Nährstoffbilanzen und Kenntnisse der Nährstoffströme sind sowohl regional als auch im Einzelbetrieb von großer Bedeutung, um Nährstoffimbalanzen aufzudecken. Die Düngeverordnung (1996) verpflichtet die Landwirte zur Erstellung von Nährstoffvergleichen, deren Ergebnisse von erheblicher betrieblicher und umweltbezogener Bedeutung sind und im Endergebnis wichtige Indikatoren für den Nachweis einer nachhaltigen Bewirtschaftung darstellen. Ein vollständiger Ausgleich der Stickstoffsalden dürfte in den Betrieben allerdings kaum zu erreichen sein, Toleranzbereiche sind zu diskutieren, da es sich um biologische Systeme handelt. Ein Bilanzniveau von max. + 50 kg/ha N erscheint nach Hinweisen des Umweltbundesamtes in der Schrift „Nachhaltiges Deutschland“ (1997 a) durchaus akzeptabel, bedarf aber der weiteren Differenzierung nach z.B. Ackerbau-, Veredlungs-, Grünlandbetrieben.

Auch in relativ viehstarken Betrieben sind akzeptable Bilanzergebnisse möglich. In reinen Ackerbaubetrieben ist eine weitere Einsparung von Stickstoffdüngern kaum noch möglich. Diese Aussagen werden durch Betriebsanalysen weitgehend bestätigt (Abbildungen 1 und 2).



4.3 Ausweitung des Bodenschutzes durch Maßnahmen der Begrünung

Eine möglichst ganzjährige Bodenbedeckung mit lebenden oder abgestorbenen Pflanzen oder Pflanzenresten bietet den besten Schutz gegen Wind- und Wassererosion. Intensives Pflanzen-wachstum im Herbst (Zwischenfrüchte) reduziert Nährstoffverluste furch Bildung von Trockenmasse. Der Austrag in Grund- und Oberflächengewässer wird vermindert. Der Zwang zur Ackerbegrünung zwischen den Hauptkulturen ist in engen Fruchtfolgen und in viehhaltenden Betrieben besonders groß. Die Bodenbegrünung zwischen den Hauptkulturen gewährleistet einen effektiven Gewässerschutz, da durch die Produktion von Pflanzentrockenmasse der Haupteintragspfad für Stickstoff in das Grundwasser durch die Bodenpassage weitgehend ausfällt und gleichzeitig die Bodenerosion und damit auch der Eintrag von Phosphat in die Oberflächengewässer weitgehend vermieden wird. Die Effizienz dieses Systems lässt sich eindeutig am Beispiel der Bodennitratgehalte unter und nach Zwischenfrüchten im Spätherbst vor der winterlichen Auswaschungsperiode belegen (Tabelle 2).

Tabelle 2: Nitratgehalte des Bodens (0-90 cm) bei Vegetationsruhe im Herbst nach Anbau von Zwischenfrüchten nach Getreide (Mittel von 4 Jahren, Sandboden und Lößlehm)
 
Zwischenfrucht
Lößlehm (Lohne)


Ertrag
dt/ha TM
Nitrat
NO3-kg/ha

Sandboden (Ostbevern)


Ertrag
dt/ha TM
Nitrat
NO3-kg/ha

ohne Brache
-
128
-
163
Phacelia
Sommerrübsen
WelschesWeidelgras
41
39
41
19
23
32
33
30
44
26
17
52
Auf dem Lößlehmboden wurde der Nitratgehalt im Mittel der Zwischenfrüchte um 98 kg/ha N, auf dem Sandboden (viehintensiver Betrieb) um 127 kg/ha N vermindert. Zwischenfrüchte fixieren Stickstoff und sichern ihn vor Austrag aus dem durchwurzelten Bodenraum! (Quelle: FB Agrarwirtschaft Soest, LE)

4.4 Konservierende Bodenbearbeitung

Verfahren der konservierenden Bodenbearbeitung sind dadurch gekennzeichnet, dass Ernterückstände und Zwischenfrüchte zum Teil oder vollständig auf der Bodenoberfläche verbleiben. Pflanzenbauliche Maßnahmen (Fruchtfolge, kontinuierliche Bodenbedeckung, Unkrautregulierung) und Düngungsstrategien müssen speziell auf dieses System ausgerichtet sein. Aus dem Versuchsbetrieb „Integrierter Pflanzenbau“ liegen siebenjährige Vergleichsuntersuchungen zur Frage der Bodenbearbeitung mit oder ohne Pflug mit weitgehend identischen Ergebnissen vor (Abbildung 3).



Eine verminderte Eingriffsintensität wirkt sich positiv auf das Ökosystem Boden aus. Die Besiedlungsdichte und Biomasse der Regenwürmer wird gefördert. Gleichzeitig erfolgt eine bessere Versickerung der Niederschläge, Drainung und Durchlüftung des Ober- und Unterbodens über die Regenwurmgänge (FRIEBE 1994; THIELEMANN 1993). Durch diese bessere Infiltrationsleistung wird der Boden vor Erosion geschützt. Der Schutz der Böden wird somit besonders gut durch die dauerhafte konservierende Bodenbearbeitung gewährleistet. Die Praxisrelevanz dieser dem integrierten Pflanzenbau zuzuordnenden Bewirtschaftungssysteme wird von immer größerer Bedeutung sein.

4.5 Integrierter Pflanzenschutz

Sortenwahl, Anbautechnik und Fruchtfolgestellung üben einen wesentlichen Einfluss auf das Infektions- und Verunkrautungsrisiko in den angebauten Kulturen aus. Wichtig ist, dass im integrierten Pflanzenschutz zunächst biologische, biotechnische, pflanzenzüchterische sowie anbau- und kulturtechnische Maßnahmen im Vordergrund stehen, um den Einsatz chemischer Mittel auf das noch erforderliche Maß zu beschränken. Computergesteuerte Prognosesysteme wie Pro Plant sind diesbezüglich eine sinnvolle Entwicklung, um die Effizienz des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln (PSM) zu verbessern.

Der Einsatz mechanischer Unkrautregulierungsverfahren in engen Fruchtfolgen mit nur geringen Kompensationseffekten der Früchte untereinander stößt an Grenzen. Der Einsatz des Hackstriegels z.B. ist stark abhängig von der Bodenart, der Witterung und vom Unkrautbesatz und zeigt dann auch bei 3-4maligem Einsatz keine befriedigende Wirkungssicherheit besonders gegenüber Ungräsern. Eine Herbizidspritzung ist oft kostengünstiger, sicherer, risikoärmer und vermutlich weniger energieaufwendig. Gezielte Kombinationen mechanischer und chemischer Unkrautregulierung mit Reihenhacke und Bandspritzung sind hingegen in Reihenkulturen wie Zuckerrüben und Mais eine sinnvolle Lösung zur Reduzierung des PSM-Aufwandes (PETERSEN 1996, LÜTKE ENTRUP et. al. 1996). Allgemein ist festzustellen, dass die Herbizidkosten in den letzten Jahren stark rückläufig gewesen und kaum noch Unterschiede zwischen konventionellen und integrierten Strategien festzustellen sind.

Das „notwendige“ Maß des Einsatzes chemischer Pflanzenschutzmittel liegt nach Literaturhinweisen bei ca. 50-60 % der zur Zeit zugelassenen vollen Aufwandmengen, was zu Kostenreduzierung und Verringerung der Umweltbelastungen von Böden, Grund- und Oberflächengewässern und auch der Luft beiträgt. Staatliche Reduktionsprogramme sollen den Einsatz chemischer Mittel in einigen Ländern einschränken. Nach Angaben des IVA (1997) war in Ländern wie Schweden und Niederlande mit Reduktionsprogramm ein Rückgang um 26 % , in Ländern ohne Programm wie z.B. in Deutschland ein Rückgang von 24 % zu verzeichnen. Die Abbildung 4 verdeutlicht die Entwicklung in einem praktischen Betrieb, der im Rahmen des Projektes Leitbetriebe Integrierter Landbau die Prinzipien des integrierten Pflanzenbaues beachtet.



4.6 Biotop und Artenschutz im Integrierten Landbau

Der Integrierte Pflanzenbau benötigt landschaftsökologisch günstige Rahmenbedingungen, die über den Aufbau und den Erhalt von Biotop-Verbundsystemen abzusichern sind. Von Bedeutung ist eine artenreiche Vegetation dieser Strukturen, wodurch Nützlinge gefördert werden und damit eine gute Ausgangsbasis für natürliche Regulationsmechanismen geschaffen wird. Der Biotop- und Artenschutz ist im Bewusstsein der Landwirte und Berater noch zu wenig verankert. Eine aus agrar- und landschaftökologischer Sicht notwendige Änderung der Situation lässt sich nur erreichen, wenn das Schadschwellenkonzept stärker angewendet wird und in agrarisch genutzten Regionen Flächen für temporäre und dauerhafte Zwischenstrukturen – dort wo sie sinnvoll und zweckmäßig sind – bereitgestellt werden. Diese ökologische Infrastruktur in Form von chemiefreien Ackerrandstreifen, Rainen, Säumen, Hecken, Krautstreifen und Feldgehölzen ist auch für die Kleintierwelt von Bedeutung und ist im Sinne des integrierten Landbaus unverzichtbar für den Naturschutz in Agrarökosystemen. Gleichzeitig werden aber auch die Grenzen sichtbar. Die Bereitstellung derartiger Flächen ist mit einem Ertrags- bzw. Einkommensverzicht des Landwirtes verbunden, die nur über länder- und kreisspezifische Förderprogramme mit ausreichendem finanziellen Anreiz aufgefangen werden können. Die Biodiversität ist zweifellos ein wichtiger Indikator für eine nachhaltig orientierte Landwirtschaft. Einzelne Regionen sind hinsichtlich der Strukturelemente unterschiedlich ausgestattet. So wäre es z.B. in der Münsterländer Parklandschaft unsinnig, die vielfältig vorhandenen Strukturelemente noch zusätzlich durch erhebliche Anteile der landwirtschaftlichen Nutzfläche der meist flächenarmen Betriebe zu ergänzen. In anderen Regionen, z.B. Köln/Aachener Bucht oder Soester Börde, ergeben sich größere Handlungsbedarfe zur Gestaltung von Agrarökosystemen.
 

5. Kriterien nachhaltiger Verfahren im Pflanzenbau

Die Landwirtschaft befindet sich – wie alle übrigen Wirtschaftsbereiche auch – in einem ständigen Entwicklungsprozess durch Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und des technischen Fortschritts. Die moderne Wohlstandsgesellschaft ist ohne Produktivitäts-steigerung in der Landwirtschaft kaum vorstellbar. Steigende Flächenerträge und tierische Leistungen sind nach laienhafter Meinung aber auch mit steigenden Umweltbelastungen verknüpft und werden mit der Intensität der Landwirtschaft gleichgesetzt. Folgerichtig wird von Teilen der Bevölkerung eine verbesserte Umweltverträglichkeit mit der Extensivierung eingefordert, wie dieses in verschiedenen Schriften (Umweltbundesamt, BUND/Misereor u.a.) der Fall ist, aber auch in Förderprogrammen, z.B. der EU, des Bundes und der Länder zum Ausdruck kommt. Die Vermeidung landwirtschaftsbedingter Umweltbelastungen und die Entwicklung umweltgerechter Pflanzenbauverfahren kann grundsätzlich auf den fünf folgenden Lösungsansätzen beruhen:

1. Düngung nach Pflanzenbedarf (Optimierung)

  • Effizienzsteigerung der organischen und mineralischen Düngemittel nach artspezifischen Ansprüchen (z.B. Körnerraps, Leguminosen, Zuckerrüben, Mais u.a.)
  • Nährstoffbilanzen über die Fruchtfolge ausgleichen und Nährstoffimbalancen aufdecken (Nährstoffausgleich)
2. Bodenschutz durch möglichst ganzjährige Bodenbedeckung (Wind- und Wassererosion)
  • Vermeidung der Nitratauswaschung
  • Verringerung von Phosphatverlusten
3. Konservierende Bodenbearbeitung, Direktsaat
  • Förderung des Bodenlebens
  • Verbesserung der Wasserinfiltration
4. Integrierter Pflanzenschutz
  • Reduzierung des Einsatzes chemischer Wirkstoffe
  • mechanische Unkrautregulierung
  • anbau- und kulturtechnische Maßnahmen
  • Sortenwahl, biologische Regulation
5. Biotop- und Artenschutz (Biodiversität)
  • ökologische Infrastruktur
  • Biotop – Verbundsysteme
Bisher sind weder der Begriff Umweltbelastung noch Systeme der umweltverträglichen und nachhaltigen Landwirtschaft exakt definiert. Sowohl der konventionelle als auch der integrierte und auch der ökologische Landbau bemühen sich, Kriterien der Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit im eingangs definierten Sinne zu erfüllen. Da die erwähnten Landbausysteme hinsichtlich der geforderten Zielgrößen charakterisiert werden müssen, ist es dringend erforderlich, eine Paramerisierung von Umweltsachverhalten und von Effizienz-Kriterien durchzuführen, um Landbausysteme bewerten zu können. Ohne Anwendung entsprechender Indikatoren (Tabelle 3) kann Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit nicht nachvollziehbar belegt werden.

Tabelle 3: Indikatoren zur Kennzeichnung einer nachhaltigen Landwirtschaft (in Auswahl)



Nährstoffhaushalt
N-Saldo (Fläche)
P-Saldo
K-Saldo
Gehaltsklassen P, K, Mg, Ca
pH-Wert
Humusreproduktion
u.a.


Bodenschutz
    Erosionsdisposition
    Bodenbearbeitung
    Bodenverdichtung
    u.a.


Einsatz von Pflanzenschutzmitteln
    Schadschwellen
    u.a.


Landschafts- und Artenvielfalt
    Strukturelemente
    Kulturartendiversität


Energiebilanz
    Input/Output
    Pflanzenbau/Tierhaltung
    Gesamtbetrieb


Produktivitätsmaßstäbe
    Ertrag
    Effizienz der Produktionsmittel
    u.a.

Derartige Indikatoren – wie ausgeglichener Nährstoffhaushalt, effektiver Bodenschutz, Effizienz des Pflanzenschutzmitteleinsatzes, Verbesserung der Artenvielfalt, optimale Energiebilanz u.a. – sind im integrierten Landbau von großer Bedeutung. Dabei handelt es sich um ein dynamisches System, das sich durch wissenschaftliche Erkenntnisse und deren praktische Umsetzung ständig weiterentwickelt und verschiedene Kriterien wie Umweltverträglichkeit, Nachhaltigkeit, Effizienz der Produktion, soziale Sicherheit u.a. berücksichtigt.

Ähnliche Kriterien verwenden auch ECKERT und BREITSCHUH, um in ihrem Bewertungssystem über etwa 20 Indikatoren nachhaltige Landnutzungssysteme zu beschreiben. Dieser umfassende Ansatz führt über Indexzahlen zu einer Umweltbewertung, die im Betrieb die Situation einer möglichen Über- oder Unterversorgung mit Nährstoffen, unzureichende Humusversorgung, allgemein zu hoher Input und zu geringer Output oder auch umgekehrt anzeigt.

Die bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse zeigen, dass eine enge Beziehung zwischen der Intensität eines Betriebes und der Umweltbelastung nicht gegeben ist. Auch extensiv wirtschaftende Betriebe sind kein Garant für Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit, da negative Nährstoffsalden, Bodenerosion und nicht ausreichende Energiebilanzen ermittelt werden. Die Landwirtschaft braucht deshalb ein Instrumentarium, um Fehler in der Produktion zu erkennen und um Gegenstrategien einleiten zu können.

6. Zusammenfassung

Die Forderung [des Brundtland-Reports] nach „Nachhaltiger Entwicklung“ muss auf den landwirtschaftlichen Sektor übertragen die Forderung nach einer „Nachhaltigen Landwirtschaft“ zur Konsequenz haben. Diese umfasst den Anspruch der folgenden Generationen, den Erhalt und die Verbesserung der biotischen und abiotischen Ressourcen und schließt sozioökonomische Komponenten, die gesellschaftliche Verantwortung und die globale Komponente mit ein. Die Messung und Darstellung der Nachhaltigkeit kann nur über Indikatoren erfolgen, die Umweltwirkungen und Effizienzmaßstäbe beinhalten. Die relativ diffuse Diskussion über Umweltbelastungen durch landwirtschaftliche Produktionssysteme muss durch exakt definierte Nachweise der Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit abgelöst werden. Die intensive Landwirtschaft pauschal als umweltbelastend darzustellen ist genauso falsch, wie den Begriff der Umweltverträglichkeit mit Extensivierung gleichzusetzen. Das Wissen und Können des Landwirtes ist für die „Nachhaltige Landwirtschaft“ von größerer Bedeutung als die Forderung nach extensiven, intensiven oder auch ökologischen Landbausystemen. Der größte Teil der landwirtschaftlichen Betriebe wirtschaftet bisher konventionell, muss aber stärker als bisher Umweltaspekte beachten und nähert sich daher dem System Integrierter Landbau. Damit hat dieses System Leitbildcharakter für die Zukunft und dient als Orientierungsmaßstab für Landwirtschaft und Gesellschaft.
Nachhaltige Landwirtschaft und hohe Produktionsintensität sind unter diesen Voraussetzungen kein Widerspruch, sondern ergänzen sich in hervorragender Weise, um den Anforderungen an eine die Weltbevölkerung ernährende und die Kulturlandschaft erhaltende Landwirtschaft gerecht zu werden. Es ist notwendig, diese Zusammenhänge in den lokalen Agenda 21 – Prozessen zu erläutern und zu verankern.
  

Prof. Dr. Norbert Lütke Entrup, Universität-GH Paderborn, Fachbereich Agrarwirtschaft Soest
Literatur (in Auswahl)

Allen, P. et al., 1991: zitiert in Christen, 1996

Bach, M., H.G. Frede und G. Lang, 1997: Entwicklung der Stickstoff-, Phosphor- und Kalium-Bilanz der Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Gesellschaft für Boden und Gewässerschutz e.V., Wettenberg, 77 S.

Bay. StMLU, 1997: Bayern – Agenda 21 ... für eine nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung in Bayern. München, 452 S.

Bundesumweltministerium, 1997 a: Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland. Bericht der Bundesregierung anlässlich der VN-Sondergeneralversammlung über Umwelt und Entwicklung 1997 in New York. Bonn, 90 S.

Bundesumweltministerium, 1997 b: Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Riode Janeiro – Dokumente – Agenda 21. Bonn, 359 S.

Bundesumweltministerium, 1998 a: Lokale Angenda 21. Art.-Nr. 4027, Bonn, 12 S.

Bundesumweltministerium, 1998 b: Nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Entwurf eines umweltpolitischen Schwerpunktprogramms. Bonn, 147 S.

Bund/Misereor, 1996: Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung. Birkäuser Verlag Basel, Boston, Berlin, 453 S.

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Eckert, H., U. Gernand und D. Möbius, 1997: Praktische Kriterien und Toleranzbereiche zur ökologischen Analyse und Bewertung von Pflanzenbausystemen mit Mais. Vortragstagung „Umweltgerechter und ertragsorientierter Maisanbau, 8./9.07.97 in Soest, FB Agrarwirtschaft, Tagungsbericht, S. 209 ff.

Eckert, H., G. Breitschuh und D. Sauerbeck, 1999: Kriterien umweltverträglicher Landbewirtschaftung (KUL) – ein Verfahren zur ökologischen Bewertung von Landwirtschaftsbetrieben. Zeitschrift Agribiological Research, Bd. 52, H. 1, 57-76 (Sonderdruck)

Kuhlmann, H. und M. Schenk, 1998: Boden- und Wasserverbrauch. In „Umwelt, Landschaft, Klima – Der Themenband“. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und Expo 2000, Hannover, 146-151

Kuhn, S., G. Lucky und M. Zimmermann (hrsg.) 1998: Lokale Agenda 21 – Deutschland. Kommunale Strategien für eine zukunftsbeständige Entwicklung. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York

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Lütke Entrup, N., O. Onnen, B. Teichgräber et al., 1996: Qualitätsmanagementsysteme und Ökobilanzen in der Landwirtschaft. Forschungsbericht Nr. 4 des Fachbereichs Agrarwirtschaft der Universität-GH Paderborn in Soest, 110 S.

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