Pfalz und Kloster Pöhlde

Mittelpunkt des alten Ortsteils Pöhlde ist die Kirche. Der Kirchhof und der nach Norden anschließende Pfarrgarten liegen im Vergleich zu ihrer Umgebung auf einer allerdings nur schwach ausgeprägten Erhebung, die im Osten ein großer trichterförmiger Erdeinbruch "der Sumpf" begrenzt (Abb. 37, 38).


Abb. 38 Pöhlde. Das Pfalzgelände; Blick von Osten.

Es wird wohl mit gutem Recht angenommen, daß die heutige, in ihrer äußeren Erscheinung recht schlichte Kirche (Abb. 38), die als einzigen Schmuck an ihrer Ostseite (Turmteil) ein frühgotisches Fenster besitzt und deren Mauern ganz unterschiedliche Bauphasen erkennen lassen, auf den Grundmauern der ehemaligen Klosterkirche steht. Im Grundriß bildet das heutige Kirchengebäude ein auffallend langgestrecktes Rechteck. Diese eigenartige Form könnte dadurch erklärt werden, daß sie nur noch die Ausmaße eines ursprünglichen Mittelschiffes der ehemaligen Klosterkirche darstellt, während deren ehemals vorhandenen Seitenschiffe jetzt fehlen. Tatsächlich sind bei den Ausgrabungen an der Süd- und Nordseite der Kirche starke Mauerfundamente von Seitenschiffen festgestellt worden (Abb. 39). Zwar wiesen die des südlichen Seitenschiffes erhebliche Störungen auf, dennoch konnte ihr ehemaliger Verlauf sicher rekonstruiert werden. Hier befand sich einst ein 5,50 m breites Seitenschiff, das zu einem späteren Zeitpunkt um einen Meter verbreitert wurde. Jene starken Störungen, die allenthalben im gesamten Kirchhofbereich beobachtet werden konnten, sind durch jüngere Gräber entstanden; denn bis zum Jahre 1901 diente der Kirchhof als Friedhof. Diese Gräber waren z. T. bis 2 m tief angelegt, so daß kaum noch ungestörte Schichtungen angetroffen wurden. Außerdem war das gesamte Areal mit einer durchschnittlich 1 m starken Bauschuttschicht bedeckt, die von mehreren Zerstörungen der Kirche herrührt.

Abb. 39 Pöhlde. Grabungsplan des Pfalzgeländes.

Aufschlußreicher waren die Untersuchungen an der Nordseite der Kirche. Auch hier liegen die Reste eines ehemaligen Seitenschiffes von 14 m Länge und einer bis zum Fundament der heutigen Kirche reichenden Breite von 7,10 m. Im Innenraum dieses einstigen Kirchenteiles waren Teile eines ursprünglich mit Holzbohlen belegten Gipsestrichs erhalten. In der Außenmauer dieses nördlichen Seitenschiffs befand sich ein Portal von 1,70 m lichter Weite, dessen Schwelle gut bearbeitete, große Dolomitblöcke bildeten (Abb. 40). Während das Mauerfundament überwiegend aus Flußkieseln besteht, zeigt das aufgehende Mauerwerk vornehmlich die Verwendung von Platten und Blöcken aus Buntsandstein und Dolomit. Recht häufig sind an den Innen- und Außenwänden der durchschnittlich 1 bis 1,10m starken Mauer Reste eines Wandverputzes erhalten geblieben. An den westlichen Teil dieser Längsmauer, direkt an das Portal anschließend, fügte sich ein kleiner Vorraum an, der später durch einen stark mit Gipsmörtel versehenen Maueranbau erweitert wurde. In seiner Nordwestecke stand in einer quadratischen Vertiefung ein nahezu unbeschädigtes Gefäß. Es bedeutet ganz sicherlich ein symbolisches Bauopfer und ist seiner Form nach dem 13./14. Jahrhundert zuzuweisen. Demnach ist dieser Vorbau während dieser Zeit entstanden.

Auf jenes Portal in der nördlichen Seitenschiffmauer stößt ein 2,40 m breiter Verbindungsgang aus genau nördlicher Richtung von einem, im angrenzenden Pfarrgarten liegenden Gebäudekomplex. Gleichzeitig bricht jener Gang vor dem Seitenschiff rechtwinkelig ab und setzt sich parallel zum Kirchenbau verlaufend zunächst in östlicher Richtung fort, so daß hier ebenfalls ein 2,40 m breiter Gang entstand. Er umgibt schließlich einen rechteckigen Platz von 15 x 20 m Flächenausdehnung. Dadurch wird der Gang eindeutig als Kreuzgang gekennzeichnet. An seiner Ostseite schlossen sich wiederum zahlreiche, sich zuweilen überschneidende oder überlagernde Hausfundamente an, in die vom Gang aus ein Rundbogen-Portal führt (Abb. 41 a). Innerhalb dieser Gebäudereste konnten mehrere z. T. später wieder vermauerte Türdurchgänge festgestellt werden, die neben anderen Einzelerscheinungen erkennen lassen, daß hier zahlreiche Um- und Erweiterungsbauten vorgenommen worden sind. Da diese Gebäudereste unmittelbar direkt an den Kreuzgang anschließen, wodurch ein direkter Zugang zur Kirche gegeben war, können diese Gebäudereste nur von dem um 950 gegründeten Benediktinerkloster stammen. Daß bei diesen Klostergebäuden mehrfach Erweiterungen und Umbauten vorgenommen worden sind, wird dort sichtbar, wo die Mauer des Kreuzganges durch die Erweiterung eines massiven Hauses beseitigt wurde, dessen Fußboden man mit einem sorgfältig aus Flußkieseln gesetzten Steinpflaster ausgelegt hatte (Abb. 42). Vermutlich ist auch der Kreuzgang bei den mehrfachen Umbauten mit verändert und zumindest streckenweise mit einem Kuppelgewölbe versehen worden.


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Abb. 40Pöhlde. Klosterkirche
a. nördliches Seitenschiff mit Portal, Vorbau und Verbindungsgang.
b. nördliches Seitenschiff, Außenfront mit Portal.

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Abb. 41 Pöhlde. Mauerfundamente von Klosterbauten.


Abb. 42 Pöhlde. Hausgrundriß mit Bodenpflaster im Klosterbereich.

Diese Grabungsbefunde dürften einen in dem "Hannoverschen Magazin von 1843" erschienenen Bericht über das Kloster Pöhlde bestätigen, nach dem "das Kirchengebäude mit den damals noch vorhandenen ,Dominialgebäuden', welche ehemals zum Kloster gehörten, ein zusammenhängendes, nur im Westen offenes Viereck bildete und damit einen Grundriß darstellt, nach welchem das Kloster sehr wahrscheinlich angelegt sein wird". Der von diesem Viereck bezeichnete Raum soll damals noch die "Capelle" genannt worden sein.

Es war bereits darauf hingewiesen worden, daß von dem Portal des nördlichen Seitenschiffes der Kirche ein Verbindungsgang geradlinig zu einem Gebäudekomplex führt, der im heutigen Pfarrgarten liegt. Abgesehen von einigen, das Gelände abtastenden Suchschnitten wurde hier eine zusammenhängende Flache von rund 1700 m² untersucht, wobei die Fundamente von insgesamt fünf Gebäuden freigelegt werden konnten; von einem weiteren war nur noch eine Hausecke faßbar (Abb. 39). Diese Hausfundamente (Abb. 43) unterscheiden sich in Bautechniken und der Verwendung von Baumaterial. Einzelne Mauerzüge aus Sand-, Kalk- oder Dolomitsteinen sind mit Gips gemörtelt, bei anderen ist das Steinmaterial in Lehm gebettet.


Abb. 43 Pöhlde. Mauerfundamente im Pfarrgarten.

Ohne irgendwelche Bindemittel errichtete sogenannte Trockenmauern bestehen aus Flußkieseln, die in Art eines Fischgrätenmusters - man bezeichnet es mit dem lateinischen Fachausdruck als "opus spicatum" - gesetzt sind (Abb. 44). Diese durch Bautechnik und Materialverwendung unterschiedlichen Mauerzüge überschneiden bzw. überlagern sich zum Teil, wobei aber jene als "opus spicatum" gesetzten Mauern stets die untersten und damit ältesten Bauteile darstellen. Als Ergebnis der Untersuchung dieses gesamten Gebäudekomplexes können drei Ausbauphasen festgestellt werden (Abb. 39): Zur älteren gehören die Gebäudereste Nr. 2 und 3 sowie ein Kellerraum Nr. 5 (Abb. 44 b). Sie werden überlagert von einem großen hallenartigen Gebäude (Nr. 1) mit 9,50 x 22 m Ausmaßen. Dieses Haus hat wegen seiner Größe sicherlich repräsentativen Zwecken gedient. Zum gleichen Baustadium gehört noch das an diese Halle anschließende Haus Nr. 4, in dem die Reste eines Ofens mit freigelegt werden konnten (Abb. 44 a). Die dritte Phase wird durch ein großes mehrräumiges Gebäude (Nr. 6) gekennzeichnet. Eine aus Flußkieseln in opus-spicatum- Technik gesetzte Mauer (Nr. 7) begrenzt auf 51 m Länge diesen gesamten Gebäudekomplex gegen Westen. Die weitere Untersuchung dieses Mauerwerkes stößt z. Z. auf Schwierigkeiten, da die anschließenden Flächen z. T. bebaut sind oder als Gartenland genutzt werden. Es kann daher noch nicht geklärt werden, ob es sich bei dieser Mauer um die Ostwand eines großen Gebäudes handelt. Ein von ihr rechtwinklig gegen Westen abzweigender Mauerzug könnte für eine solche Vermutung sprechen.

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Abb. 44 Pöhlde. Pfarrgarten. a. Fundamente des Hauses Nr. 4
mit Ofenanlage (Bildmitte) und "opus spicatum - Mauer" (Hintergrund)
b. Teilansicht eines Kellerraumes.

Die Existenz jenes, die Kirche mit dem Gebäudekomplex im Pfarrgarten verbindenden Ganges, durch den man auf direktem und geschütztem Weg zum Kirchenportal gelangen konnte, weist auf eine besondere Bedeutung jener Baulichkeiten hin. In den Pfalzen von Aachen, Frankfurt und Regensburg führt stets ein Verbindungsgang von der Pfalzkapelle zu den Gebäuden, die dem Aufenthalt des Königs dienten, der Aula regia, bzw. dem Palatium. Auch in der Kaiserpfalz Goslar sind die Gemächer des Herrschers mit der ehemaligen Liebfrauenkirche durch einen, von zwei parallel verlaufenden Mauerzügen begrenzten kleinen Hof miteinander verbunden gewesen. Wegen dieser Vergleiche darf angenommen werden, daß in Pöhlde eine ähnliche Situation vorliegt, d. h. daß in dem Gebäudekomplex des Pfarrgartens das eigentliche Palatium zu erkennen ist. Dafür würde auch das große hallenartige Gebäude (Nr. 1) sprechen.

Ungeklärt bleibt noch die Lage des zu Pfalz und Kloster gehörenden Wirtschaftshofs, bzw. die Ansiedlung der Dienstleute, wie sie zu jeder Pfalz gehören. Es kann jedoch vermutet werden, daß diese in nächster Nähe, in dem nordöstlich von Pfalz Kloster und Kirche anschließenden Gelände gelegen haben, zumal dieses bis in jüngere Zeit Domänenbesitz gewesen ist. Diese Fragen einer Lösung näher zu bringen, wird Aufgabe zukünftiger Forschungen in Pöhlde sein.

Vergleicht man die bisher gewonnenen Ergebnisse über Pöhlde mit denen anderer ottonischer Königspfalzen, z. B. Grone bei Göttingen, Werla bei Schladen, Kr. Goslar, Tilleda am Kyffhäuser oder auch Quedlinburg, Wallhausen und Memleben a. d. Unstrut, so zeichnet sich für jede ein besonderes Bild ab, sowohl hinsichtlich der Lage des Platzes in der Landschaft und deren Siedlungsgeschichte als auch in der Topographie und der baulichen Einrichtung. Die deutschen Königspfalzen der Ottonenzeit sind also nicht nach einem einheitlichen Schema erbaut worden; auch hinsichtlich ihrer geschichtlichen Bedeutung sind für jede einzelne besondere Merkmale zu verzeichnen. Für Pöhlde liegt diese vor allen Dingen in ihrer Funktion als Festtagspfalz. Hinsichtlich Struktur und Topographie der Königspfalzen werden mehrere Typen unterschieden. Die Vereinigung von Burg und Palatium ist seit Heinrich I. in ottonischer Zeit mit Vorliebe angestrebt worden. Dagegen gehen Pfalzen, bei denen Hof und Palatium gekoppelt sind, die dazugehörige Burg aber davon räumlich getrennt liegt, auf karolingerzeitliche Vorbilder zurück. Hierzu gehört auch die Pfalz Pöhlde.

Wenn bereits erwähnt wurde, daß während der Ausgrabungen im Pfalzbereich Spuren einer Siedlung aus der Zeit des 2. bis 4. Jahrhunderts festgestellt worden sind, so kann hieraus keine kontinuierliche Entwicklung von dieser Zeit bis zum Entstehen des liudolfingischen Adelshofes, der späteren Pfalz Palithi hergeleitet werden. Die dazwischenliegenden Perioden der Völkerwanderungs- und der Merowingerzeit sind im südwestlichen Harzvorland archäologisch noch nicht belegt.

Warum entstand nun gerade in dieser Landschaft eine solch wichtige Königpfalz? Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das südwestliche Harzvorland zum Stammland der Liudolfinger gehörte, das seit Heinrich I. Mittelpunkt deutscher Reichsgeschichte geworden war (vgl. Abb. 29). Die Lage des ursprünglichen Adelshofes Palithi zum Verkehrssystem der damaligen Zeit mag für seine Entwicklung zur Pfalz ausschlaggebend gewesen sein. Er liegt an der Kreuzung jener aus Thüringen in Süd-Nord-Richtung über das Eichsfeld kommenden Straßenzüge mit der großen Ost-West-Achse von Merseburg zum Rhein, an der Pfalzen lagen wie Wallhausen, Tilleda, Pöhlde und Paderborn. Bestandteil dieser wichtigen Verkehrsader ist auch der über den Kamm des Rotenbergs verlaufende Fastweg, der zur Zeit der Errichtung der Burgstelle "König Heinrichs Vogelherd" bereits bestanden hat. Die Lage der Pfalz Pöhlde ist also durch das ehemalige Verkehrsnetz ganz wesentlich mit bestimmt. Nicht zuletzt wird auch die unmittelbare Nachbarschaft zu den großen Jagdrevieren des Harzes für die Könige des Mittelalters von Interesse gewesen sein. Königspfalzen waren fast stets mit großen Forstbezirken verbunden, wie z. B. die historischen Forschungen zum Pfalzbezirk Werla, Kr. Goslar zeigen. Gleiche Untersuchungen zu dem Problem "Pfalz und Forstbezirk" stehen für die Pfalz Pöhlde noch aus.

Neben den drei großen niedersächsischen Königspfalzen, der Pfalz Grone bei Göttingen, Werla im Kreise Goslar und Goslar selbst, liefert auch Pöhlde seinen besonderen Beitrag zu dem umfassenden Forschungsproblem "Geschichte der deutschen Königspfalzen". Von Seiten der Archäologie können dabei nur Detailfragen wie sie bereits aufgeführt wurden, aufgegriffen und einer Beantwortung näher gebracht werden. Damit ist es jedoch gelungen, das Bild einer deutschen mittelalterlichen Königspfalz in Umrissen wieder entstehen zu lassen, von der historische Nachrichten nur spärlich berichten.


CLAUS, Martin (1978): Archäologie im südwestlichen Harzvorland.- Wegweiser zur Vor- und Frühgeschichte Niedersachsens, H.10:99-111, 194 S., 74 Abb., Hildesheim

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