Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher
53(4)
109-110
München 2007

Fritz Stolberg und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus

von

Fritz Reinboth
 

Zeitgenossen

Lieben Freunden gewidmet

Nimm Kreide, mal Dir ein‘ge Drudenfüße,
Von Hauses Schwelle Geister abzustoßen,
Doch es bedarf noch kräftigerer Grüße,
Vom Leibe sich zu halten Zeitgenossen!
Mit Geistern ohne Köpfe ist gut rechten,
Doch schwierig mit den Köpfen ohne Geist,
Besonders dann, wenn sie im Dunkeln fechten,
Wie‘s Zeitgenossen tun zu allermeist!
Da hilft nur eins: Schaff eisern dir die Stirne,
Zücht in Dir selbst den echten Zerberus
Und greif hinauf und hol dir die Gestirne
Herab, den andern lachend zum Verdruß!

F. Stolberg, 1. August 1933

Der Reichsbund für Karst- und Höhlenforschung und das NS-Regime
Auch bei einer differenzierten Betrachtungsweise müssen sich die Mitbegründer des Reichsbundes für Karst- und Höhlenforschung den Vorwurf gefallen lassen, ihren alten, später nach Theresienstadt verschleppten Forscherkameraden Benno Wolf im Stich gelassen zu haben.
Am 11. Mai 1941 war diese gleichgeschaltete Organisation als Nachfolgerin des alten Hauptverbandes im Grünen Zimmer des Mirabell-Kasino in Salzburg gegründet worden. Die Leitung übernahmen Prof. Tratz, Walter von Czoernig, Oberst Franz Mühlhofer, Julius Riemer und Bernhard Lange. Anwesend waren auch Friedrich Stolberg und Gustave Abel, letzterer gewiss unverdächtig und nach dem Kriege überzeugter Kommunist. Auch Baron Czoernig hatte sich lange gegen alle Versuche der Gleichschaltung gewehrt (SCHAFFLER 1991). Stolberg schrieb kritiklos in sein Tagebuch: „Schade, daß Kyrle und Wienrich die Gründung nicht erlebten“; er fährt aber fort: „Wolf nun leider auf dem toten Gleis“. Bei der sonst lapidaren Kürze der Tagebuchnotizen zeugt dies ein immerhin von einem bewussten Gedenken an den Verratenen. Was auf Wolf dann 1942 wirklich zukam, hielt wohl keiner seiner früheren Kollegen für möglich. Später haben Riemer, Stolberg und andere in oder bei Berlin ansässige Höhlenforscher mehrfach über das Thema „Wolf und sein Unglück“ und die „Tragödie Wolf“ diskutiert. Riemer legte auch nach einem Jahre seine Ämter im Reichsbund nieder, vorgeblich aus gesundheitlichen Gründen. Es war aber eher ein stiller Protest.


Abb. 1: Fritz Stolberg, vermutlich Kletterfahrt zum Römerstein,
Mai 1934, Foto W. Schäfer

Stolbergs Einstellung zum Nationalsozialismus
Hier seien einige Dokumente vorgestellt, aus denen Stolbergs Einstellung zum Nationalsozialismus differenziert deutlich wird. Quelle dieser Untersuchung sind Stolbergs Tagebücher. Das vorangestellte Gedicht, eine von vielen etwas verschlüsselten Aussagen Stolbergs zu seiner Zeit, ist dazu eine aufschlussreiche Quelle. Es zeigt auch, wie sehr – nicht nur von Stolberg – damals die „Köpfe ohne Geist“ unterschätzt wurden. Ein Reisebrief Stolbergs vom 5. Juni 1922 illustriert seine Geisteshaltung schon lange bevor die Nazis von sich reden machten. Im durch den Bahnhof Wilferdingen brausenden Orientexpress „saßen etliche Großkopfete beim Frühstück... Das deutsche Volk in unserem wenig feudalen 4. Kl.-Zuge aber hielt unter Gesang, Geklampf und gewaltigem Pfingstvergnügen Nationaltrauer ab. Da gerade die kommunistischen Arbeiterjugendvereine an Bord waren, prangten wir im Glanze zahlreicher roter Fahnen, was hübsch zum Orientexpreß paßte. Es ist viel wert, daß diese Kreise (sie machen die oberen Schichten nach) auch zu wandern beginnen. Das wird allmählich deren Psyche ändern. Schlechter wie wir sind sie im Grunde nicht, nur weniger gescheit. Immerhin ist Tatsache bei mir, daß mich Kouleurstudenten (sic) und Uniformen bis zum Kochen erregen, wenn ich dieselben nur wittere. Ich hasse alles, was Nationalgefühl kultiviert. Kommunismus an und für sich verachte ich aus dem Grunde meines Herzen. Was mir die Leute sympathisch macht, ist der Hang zum Internationalen.“
Es wird deutlich, dass Stolberg gegenüber jedem nationalen Kult skeptisch war; vielleicht hat ihn seine in Straßburg verlebte Jugendzeit geprägt. Als 1921 überall Hindenburg-Umzüge stattfanden, wurde der Reichspräsident im Juni auch in Nordhausen erwartet. „Hindenburg kam aber nicht, was mir sehr angenehm war“.
Stolberg erweist sich sonst eher als politisch indifferent. Was ihn erregt, sind eben die „Köpfe ohne Geist“, seien es „weniger gescheite“ Jungkommunisten, gewisse Corpsstudenten oder später die Nazis. Mit besonderem Vergnügen beobachtete er in Rübeland das Nebeneinander des Nazis Bernhard Lange (der indessen gewiss kein „Kopf ohne Geist“ war) und des Kommunistenführers Bebert, die einträchtig in der Höhle ihre Arbeit machten und hinterher zusammen Bier tranken. Am 22. Juni 1932 verbrüderten sich Lange und Bebert, was Stolberg nicht ohne Wonne vermerkt; erst recht natürlich, als Bebert 1933 – nach der Machtergreifung – von der KPD zur NSDAP überwechselte und als SA-Mann herumlief. Stolberg verfolgte diese Vorgänge in Rübeland grundgütig und ohne Bosheit; Bebert wie Lange wusste er – jeden an seiner Stelle – fachlich durchaus zu schätzen.
Die vom deutschen Volk meist andächtig gehörten Hitler-Reden im Radio – dieser technische Fortschritt hatte eine ungeheure politische Dimension! – veranlassten Stolberg am 10. März 1933 zu den zornigen Versen:

Ist denn die Welt verrückt geworden?
Ich säh' Mephisto eh‘r als Gast bei mir
Als jenen Geist der bunt bewegten Horden:
Den Inkubus der Gattung Herdentier!
Das lärmt, das tost, das rüttelt an den Sphären,
Gefällt sich selbst in tobendem Erguß
Und bringt den Schreihals schreiend noch zu Ehren,
Weil Vieh sich selber blöken hören muß!

Der dagegen eher heiteren Tagebuchnotiz „Im Radio tosende Tiraden Hitlers. Aßen Würste mit Sauerkraut. Ungemein lustig.“ folgten bald darauf (am 30. März) wieder sehr nachdenkliche Worte: „draußen junge Nazihelden damit beschäftigt, rote Plakate an jüdischen Geschäften anzubringen. Lieb Vaterland magst ruhig sein!“. Dass er den ganzen Zirkus uniformierter Parteibonzen eigentlich nicht ernst nahm, zeigt seine Bemerkung angesichts eines in Uniform und mit Schnüren zechenden Parteigenossen: „»Tag großen Suffs«: nach Mitternacht mit N.S.D.A.P.-Mann (mit Schnüren. Sach-Amtswalter?) zusammen gezecht“ (16. - 17. Mai 1934). Zur Trauerfeier für Hindenburg im Theater notiert er: „Bühne dekoriert, inmitten Hindenburgbild, nur noch Hakenkreuzfahnen, Beethovenmusik, Trauerfeier-Übertragung von Tannenberg“. Sehr beeindruckt hat ihn die Trauerfeier offenbar nicht.
Was am 13. Mai 1935 im Nordhäuser Meyenburg-Museum – er war dort Museumsdirektor – stattfand, ließ sich nicht mehr ermitteln: „Hier großer Aufstand wegen heute Abend. Hitlerjungen wollten Gartenstühle bringen. Nicht angenommen. 150 Weiber NS-Frauenschaft. Führung ... Frau Dr. Meister.“ (Frau "Dr." Meister hatte keinen Doktortitel. Dr. Meister war der nach dem Skandal um den Kreisleiter Keiser 1935 aus Meiningen nach Nordhausen versetzte Oberbürgermeister; der bisherige Oberbürgermeister Sting (ebenfalls NSDAP!), der die faule Sache aufgedeckt hatte, musste seinen Hut nehmen). Tags darauf „21 1/2 Uhr Sirenengeheul und erste Verdunkelung. Wein ausgetrunken. An Haustür umgekehrt, da Zauber vorbei. 22 Uhr abermals Geheul. Ich ging um den Block. Finsternis in Fenstern und Gehirnzellen.“ Das war nun schon starker Tobak und hätte nicht am Stammtisch gesagt werden dürfen.
Noch ein paar Tage später: „16.11.1935 Waisenhaus. Luftschutzausstellung. Versammlung der freiwilligen Führer. Eindruck der Ausstellung bodenlos. Würdig ihrer Zeit!
15. März 1936 Einweihung des von einem Nordhäuser Fabrikanten gestifteten (1945 gestürzten) sog. Wehrfreiheitsdenkmals vor dem Stadttheater: „Bilder unwürdig eines Volkes von Dichtern und Denkern“.
Stolberg war naiv genug, solche Bemerkungen über die herrschende Partei, ihre Bonzen und den Führer auch öffentlich fallen zu lassen. Soweit sie nur etwas verschlüsselt waren, kamen die ahnungslosen Zuhörer meist nicht dahinter, was er meinte. Das „weniger gescheit“ umschrieb ja auch den geistigen Horizont der meisten Parteigenossen.

Stolbergs Streit mit Klagges
Gefährlich wurde es für Stolberg, wenn er – wie oft – zuviel getrunken hatte und unvorsichtig wurde. So geriet er ins Visier des braunschweigischen Ministerpräsidenten Klagges, der als Vorsitzender des Landesverkehrsverbandes Harz auch für die Rübeländer Höhlen zuständig war. Am 22. März 1934 besuchte Stolberg nach einer Forschungsfahrt in der Hermannshöhle auch die Baumannshöhle, die seit 1933 unter Bernhard Langes Direktion stand. Entsetzt sah er auf der neuen Höhlenbühne die in der 4. Abteilung der Alten Höhle abgesägte, berühmte „Große klingende Säule“ zur Bühnendekoration herabgewürdigt. Noch 20 Jahre später konnte er sich die Kritik daran nicht verkneifen: „Auf ihr ruhten die Augen Goethes! Wohlmeinender Unverstand hat 1933 die Säule ... auf die Freilichtbühne verpflanzt ...“ (STOLBERG 1951). Dazu kam der künstliche „Wolfgangsee“ wie eine überdimensionale Badewanne. Im Tagebuch vermerkte er damals nur „Ärgerte mich“. Dass Stolberg in Gegenwart von Bernhard Lange und dem Wirt C. Streckfuß abends im Hotel Hermannshöhle seinen Unmut über die pietätlosen Veränderungen in der Baumannshöhle abreagiert hat, ist sehr wahrscheinlich. Mit ziemlicher Verspätung – am 25. Juni 1935 – wurde Stolberg wegen des über ein Jahr zurückliegenden Vorfalls und aufgrund eines von der Staatsanwaltschaft Braunschweig eingeleiteten Ermittlungsverfahrens vor die Nordhäuser Kriminalpolizei geladen. Welche Äußerungen Stolberg vorgeworfen wurden, ist unbekannt; er selbst gibt später abfällige Bemerkungen über Hitler als Grund an. Merkwürdig ist indessen eine weitere Vorladung im September durch einen Dienstvorgesetzten, der Stolberg fragte, was er denn mit Klagges habe? Klagges hatte sich anläßlich eines Besuchs in Nordhausen über Stolberg beschwert. Die Vorgänge im Hotel Hermannshöhle kann ihm nur Lange hinterbracht haben, der als Hauptinitiator der Höhlenbühne über Stolbergs Kritik verärgert war. Es ist aber nicht auszuschließen, dass Klagges zumindest indirekt als Befürworter an dem geschmähten Höhlentheater beteiligt war.

Abb. 2: Dietrich Klagges, Volksschullehrer, Mitglied von NSDAP und SS. Ab 1932 Ministerpräsident in Braunschweig; veranlasste die Ernennung Hitlers zum Regierungsrat und ermöglichte so seine Einbürgerung. Foto aus: E.A. Roloff (1980): Braunschweigs Weg ins Dritte Reich. Bürgertum und Nationalsozialismus 1930 bis 1933, Braunschweig, S. 97.

Stolbergs Lage als Nordhäuser Museumsdirektor war damit schwierig geworden. Der Oberbürgermeister Dr. Meister nahm Einsparungsmaßnahmen zum Anlass, Stolbergs Stelle mit dem 1. Oktober 1937 zu streichen. Bezeichnend für Dr. Meister ist sein Aufruf in der Nordhäuser Zeitung „Weg mit den eisernen Zäunen“: „Es ist mir, wie wenn ich einen Juden sehe, wenn ich so einen unnützen eisernen Vorgartenzaun erblicke. Wozu also fernerhin diese eisernen Vorgartenzäune?“ usw. Das spricht für sich.
Stolberg blieb jedoch gegen ein gekürztes Gehalt bis 1938 im Museum tätig. Um sich die Aussicht auf eine neue Anstellung nicht von vornherein zu verbauen, trat er am 1. April 1938 in die Partei ein, wie er im August 1945 erklärte. Die Kündigung als Museumsdirektor blieb trotzdem wirksam.
Ironie des Schicksals wollte, dass Stolbergs Lebenswerk, der Harzer Höhlenkataster, 1942 ausgerechnet durch die Forschungsgemeinschaft „Das Ahnenerbe“ Realität wurde. Die Freude an dieser von ihm nur idealistisch gesehenen Arbeit ließ ihn vergessen, dass Himmler der Schirmherr des Unternehmens war. So geriet er später in den Verdacht, dessen Parteigänger gewesen zu sein. Als er sich der gefährlichen Nähe zur SS bewusst wurde, flüchtete er vor den beginnenden Verfolgungen älterer Mitarbeiter der Potsdamer Stadtverwaltung nach Westberlin. Den Sirenenklängen der abermals gleichgeschalteten DDR-Höhlenforschung folgte er später nie, ob sie nun von dem ehrgeizigen Geologen Reichel in Rübeland oder seinem gewiss unverdächtigen alten Mitarbeiter Friedrich Schuster in Nordhausen kamen, die ihn mehrfach zu Tagungen nach Rübeland einluden. Stolberg hat die Rübeländer Höhlen, die ihm so viel verdanken, nie wiedergesehen.

Literatur und Quellen
SCHAFFLER, H. (1991): Die „Höhlenforschung“ im Dritten Reich. – Karst und Höhle 1989/90: 33 - 97
STOLBERG, F.: Tagebücher. – Unveröff.
STOLBERG, F. (1958): Die alten Abbildungen der Baumannshöhle bis 1750. – Harz-Zs.10: 65 - 90, 14 Taf.

Anschrift des Autors: Dipl.-Ing. Fritz Reinboth, Theodor-Francke-Weg 52, 38116 Braunschweig, Tel. 0531/511 750


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