Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher
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München 1969

Die Höhlenforschung im Harz, ein geschichtlicher Überblick

Von FRIEDRICH STOLBERG

Der Harz erscheint als kleines Massengebirge von knapp 40 x 95 km Ausdehnung, südost-nordwest streichend zwischen 10°10' bis 10°30' östl.Länge und 51°25' bis 51°57' nördl.Breite. Wie ein Pfeiler massiert er sich vor der Nordgrenze der deutschen Mittelgebirgslandschaft! Seinen Aufbau prägen paläozoische Sedimente und Tiefengesteine. Für die Karst- und Höhlenforschung sind hierbei mitteldevonische Kalke (Iberg - Bad Grund, Elbingerode- Rübeland) von klassischer Bedeutung. Ihnen gesellen sich hinzu die Gipse und Dolomite des den südlichen Harzrand begleitenden Zechsteingürtels und der Mansfelder Mulde im Osten mit beachtlichen Höhlen- und Karsterscheinungen. Zu den Harzer Höhlengebieten kann im Süden ein Teil der Muschelkalk- Trias- Stufe und im Norden ein kleines Kreidegebiet bei Bad Harzburg gerechnet werden.

Katastermäßig erfaßt und vermessen sind in vorgenannten Gebieten rd. 170 Objekte (Höhlen) verschiedenster Art und Größe, sie verteilen sich etwa wie folgt: Iberg - Bad Grund (Devonkalk rd. 20 Höhlen; Rübeland- Elbingerode rd. 35 Höhlen darunter vier überdurchschnittlichen Ausmaßes (Baumannshöhle, Bielshöhle, Hermannshöhle, Schmiedeknechtshöhle); Südharzer Zechsteingürtel rd. 80 Höhlen, darunter Zehn überdurchschnittlichen Ausmaßes (u.a. Heimkehle mit 2 km Hauptstrecke, Himmelreichhöhle mit 80 x 170 m max. Raumgröße) Mansfelder Mulde rd. 18 Höhlen beachtlicher Ausmaße, die sog. „Schlotten“ (Tiefenhöhlen im Gips), unter ihnen solche mit Hauptlängen von fast 1 km. Triasstufe (Muschelkalk, Röt) rd. 20 Höhlen; Nordharz 1 Höhle (Scharenberg).

Die Anfänge der Harzer Höhlenforschung kristallisieren sich zunächst um ein Einzelgebilde, die Baumannshöhle. Um 1550 tritt sie in das Licht wissenschaftlicher Betrachtung. JOHANNES REIFFENSTEIN aus Stolberg befährt sie, verfaßt einen schriftlichen Bericht mit Zeichnung eines Tropfsteins (!) und übermittelt beides CONRAD GESNER, der Bild und Hinweis in seinem Werk „De omni rerum fossilium Genere“ (Zürich 1565) veröffentlicht; damit kann das Jahr 1565 als das Geburtsjahr der Harzer Höhlenforschung werden. Zunächst konzentriert sich das Interesse weiterhin auf die Baumannshöhle. Schon 1591 verfaßt HEINRICH ECKSTORM, Prior und Rektor zu Walkenried, eine aufsehenerregende Beschreibung die allgemeines Echo fand, obwohl sie erst 1620 im Druck erschien. Der Dreißigjährige Krieg unterbricht weiteres, nach seinem Ende 1646 setzt aber neuer Auftrieb ein, und zwar erscheint auch jetzt erstmals die Heimkehle als Ziel prominenter Besucher. Sie wird 1649 durch Fürst FRIEDRICH VON ANHALT-BERNBURG befahren, ein Reisediarium berichtet darüber (veröffentlicht durch BECKMANN 1710, Hist. Anhalt-Zerbst, Th.5., S.387 ff). Die Höhlenforschung erobert sich bescheiden ihren Platz in der Literatur. 1650 widmet MATTHÄUS MERIAN der Baumannshöhle erste Druckzeilen (Top. Obersachsen- Thüringen).

Richtungsweisend wird das Interesse, das der braunschweigische Herzog AUGUST DER JÜNGERE der in seinem Bereich liegenden Baumannshöhle entgegenbringt. In herzoglichem Auftrag gibt MATTHÄUS MERIAN 1654 die „Topographie der Herzogtümer Braunschweig und Lüneburg“ heraus, in der die Baumannshöhle besonderen Raum einnimmt. MERIANS Meister-Zeichner CONRAD BUNO schuf dazu die Kupferstiche. Die Baumannshöhle wird zu einem frühen „Wallfahrtsort“ der Harzer Höhlenforschung! 1656 versucht v.ALVENSLEBEN einen primitiven Grundriß zu zeichnen (Original mit Bericht Landeshauptarchiv Magdeburg, Rep.H. Erxleben II Nr. 952). Maßgebend ist hier die Tatsache, daß jetzt neben die spekulativ-romantische Betrachtung auch die exakte im Sinn moderner Forschung tritt. Gegenwartsnahe Motive klingen auf, als 1668 Herzog RUDOLF AUGUST einen Naturschutzerlaß für die Baumannshöhle verfügt und einen beamteten Höhlenführer einsetzt. Auch eine leidlich genaue Vermessung aus dieser Zeit liegt vor, überkommen 1702 als Kupferstich in der Zeitschrift „Acta eruditorum“ mit Text des Haimstädter Professors HERMANN v.d.HARDT. Der Stich erregte Aufsehen in der damaligen wissenschaftlichen Welt, u.a. übernahm ihn GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ in seiner „Protogaea“ (Deacriptio antri Baumanniani). Wie ersichtlich, haftete zunächst das speläologische Interesse an der Baumannshöhle. Andere Höhlen (Heimkehle!) wurden nur am Rande erwähnt. Da rückt 1703 der Nordhäuser Arzt Dr. GEORG HENNING BEHRENS mit einer Arbeit auf den Plan, die, neben anderen Kapiteln, eine für die damalige Zeit vollkommene Harzer Höhlenkunde vorliegt, die „Hercynia Curiosa“ (Nordhausen 1703, 4 Aufl. bis 1720, Neudruck 1899). Offenbar hat Behrens die meisten der von ihm beschriebenen Objekte befahren, sei es die Baumannshöhle, seien es die Höhlen des Südharzer Zechsteins. Er darf als der Vater der Harzer Speläologie betitelt werden. Bezeichnenderweise ist das Werk, abgesehen von dem Titel, in deutschem Text verfaßt. Dabei sind von den 200 Druckseiten des Buches 84 ausschließlich den Höhlen gewidmet. Bezüglich der klassischen Baumannshöhle fügt CHRISTIAN FRIEDRICH LESSER noch seine „Anmerkungen über die Baumannshöhle“ der Fachliteratur hinzu (Nordhausen 1734, drei weitere Auflagen bis 1745).

Aus den Reihen geistiger Prominenz ist es dann G O E T H E , der am 1. und 2. Dezember 1777 die Baumannshöhle befährt. „Den 2. den ganzen Tag in der Baumannshöhle. Abends nach Elbingerode“ vermerkt er in seinem Tagebuch. Der Eindruck war so nachhaltig, daß er 1783 und 1784 den Besuch wiederholte, in letzterem Jahr begleitet von dem Maler GEORG MELCHIOR KRAUS. In GOETHES Auftrag schuf dieser zwei mit Tusche lavierte Graphit-Kreidezeichnungen, Eingang und Inneres darstellend; beide mit Meisterschaft zu Papier gebracht. Auffallenderweise stockt aber im 18. Jh. die systematische Weiterforschung in der Baumannshöhle, es bleibt im wesentlichen bei dem Riß von 1702 in den „Acta eruditorum“, ungeachtet des anwachsenden Besucherstroms. Erst rd. 110 Jahre nach GOETHE setzt eine neue, „moderne“ Forschung in der Baumannshöhle ein, als Oberförster (=Forstmeister) ROBERT NEHRING im Jahre 1888 die Neuvermessung der Höhle unternimmt. Zu gleicher Zeit entdeckt der Führer CHRISTIAN STREITENBERG die großartigen, seit Jahrhunderten übersehenen südlichen Höhlenteile. Neue Vermessungen hat dann ab 1924 der Verfasser unternommen. 1933 führte WALTER BIESE eingehende morphologische Untersuchungen durch; biologische Studien erfolgten durch WALTER MÜHLMANN (1941/1942).

Die harzer Höhlenforschung heftete sich anfänglich vornehmlich an prominente Einzelobjekte. In Rübeland ist es, nächst der Baumannshöhle, die Bielshöhle, die Aufsehen erregt. 1672 wird sie nach einem Waldbrand aufgefunden und unter landesherrlichen Schutz gestellt. Sie dämmerte zunächst im Ruhmesschatten der nahen Baumannshöhle, GOETHE ist sie unbekannt geblieben. 1788 wird sie mit landesherrlicher Genehmigung durch CHRISTIAN FRIEDRICH BECKER mit Treppen und Fahrten als Schauhöhle erschlossen, darüber hinaus wird sie zu einem ergiebigen Betätigungsfeld der Speläologie. Die Bielshöhle stellt mit ihren Eforationsgängen und angehängten Röhrenlabyrinthen ein fast modellmäßiges Abbild alpiner Großhöhlen dar (Dachstein-Mammuthöhle!) CHRISTIAN FRIEDRICH SCHRÖDER durchforschte sie seit 1788 und brachte eine gute Darstellung in Druck, „Naturgeschichte und Beschreibung der Baumanns- und Bielshöhle“ (1796, Vieweg Berlin) mit beigefügten Fremdenbuchauszügen! 1842 folgt eine zweite Publikation von CARL HELLBAUER (Braunschweig), versehen mit exakten markscheiderischen Plänen und Lithographien. Die Entdeckung der Hermannshöhle 1866 ließ die Bielshöhle ihren Rang als Schauobjekt verlieren, nicht aber den Rang als Betätigungsfeld der Speläologie. NEHRING (1888), der Verfasser mit Kameraden (1932), BIESE (1933) haben die Arbeit fortgeführt, weiteres bleibt der Zukunft vorbehalten. Von vornherein geregelte Wege ging die Erforschung der Hermannshöhle: Erste Vermessungen folgten der Entdeckung 1866, eine großartige Kampagne setzte unter ROBERT NEHRING in enger Zusammenarbeit mit Professor J.H.KLOOS im Jahre 1888 ein, die zu ungeahnten Ergebnissen führte. 1924 bis 1948 war es dem Verfasser vergönnt, unterstützt von Kameraden weiteres Neuland zu entdecken; WALTER BIESE hat 1332 seine morphologischen Untersuchungen hinzugefügt. Die paläontologischen Funde sind seinerzeit von KLOOS gesichtet worden (1887), in jüngerer Zeit hat u.a. MÜHLMANN biologische Feststellungen hinzugefügt („Zeitschrift“ 1941/1942).

Abschließend sei auf die vierte Großhöhle im Rübeländer Raum hingewiesen, auf die Schmiedeknechtshöhle. Ihr einen starken Luftzug ausblasendes Mundloch war seit langer Zeit bekannt, sie selbst wurde im Harzer Höhlenkataster als „Kameruner Höhle“, Nr. 19, geführt. Nach Ausräumen des mit Unrat verstopften Einganges gelang es um 1950 Nordhäuser und Rübeländer Höhlenforschern, eine großartige Höhle, typenverwandt der Hermannshöhle, aufzufinden. Eingehende Berichte sind zu erwarten.

Wie ersichtlich, lag der Schwerpunkt der Harzhöhlenforschung zunächst in Rübeland. Dessenungeachtet dringt auch sehr früh der Ruf einer Südharzhöhle in die breite Öffentlichkeit, der der Einhornhöhle bei Scharzfeld. Sie steht in Zechsteindolomit und wurde nach dem dreißigjährigen Kriege, etwa seit 1650, eine Fundgrube fossiler Knochen, die als „gegrabenes Einhorn“ pulverisiert in den Apothekenhandel gingen. Kurz vor 1691 befährt LEIBNIZ die Einhornhöhle, noch vor seinem Besuch in der Baumannshöhle. Er berichtet in der „Protogaean (S.66) von diesen Knochenfunden. Auf LEIBNIZ folgt 1703 BEHRENS, dann wird die Zahl gelehrter Besucher geringer (1734 BRÜCKMANN, 1762 ZÜCKER). Erst 1872 unternimmt RUDOLF VIRCHOW zusammen mit HORSTMANN systematische Grabungen, der Nachweis vorgeschichtlicher Besiedelung wird geliefert. Es folgen 1889/1893 v.ALTEN, 1903/1906 FAVREAU und WINDHAUSEN, 1925/1926 JAKOB-FRIESEN. Die Funde des letztgenannten umfassen eine eiszeitliche Großfauna und Kulturen der Jüngeren Steinzeit, der Bronzezeit und der La-Tène-Zeit, BIESE 1930 mit seinen morphologischen Untersuchungen und H.MÜHLMANN 1941/1942 mit seinen biologischen Ergebnissen schließen die Reihe.

Es bleibt des weiten Feldes der Gipshöhlen innerhalb des Südharzer Zechsteingürtels zu gedenken. Hier war es lediglich die Heimkehle, deren Ruf in der Frühzeit in weitere Kreise drang. Mit 2 km Hauptlänge, ungewöhnlichen Raumgrößen und Höhlengewässern lag sie jedermann offen da, allerdings oft verbarrikadiert durch Überschwemmung und Morast! Von wissenschaftlich interessierten Besuchern erscheinen wenige: 1649 FRIEDRICH VON ANHALT-BERNBURG, 1703 BEHRENDS, der die Heimkehle in seiner „Hercynia Curiosa“ eingehend würdigt. Abgesehen von kleinen Einzelaktionen unterblieb aber eine Generalbefahrung und genaue Vermessung. Deshalb entschloß sich 1919 der Verfasser, das Problem anzugehen. Unterstützt durch eine kleine Schar freiwilliger Helfer und Helferinnen gelang es 1919/1920, die Arbeit zu leisten, wobei glückliches Geschick es fügte, daß ab 1920 Konsul THEODOR WIENRICH eine großzügige Erschließung der Höhle durchführte. Leider wurde die Heimkehle durch die Ereignisse des zweiten Weltkrieges schwer beschädigt, da sie, im Krieg z.T. als Rüstungsbetrieb ausgebaut, nach dem Krieg gesprengt wurde. Nach abgeschlossener Erforschung der Heimkehle griff zwangsläufig die Arbeit auf die gesamte Kette der andern Südharzer Gipshöhlen über. Anfangs als Forschergruppe freiwilliger Helfer, dann ab 1928 als „Gesellschaft für Höhlenforschung im Harzgebiet“ konsolidiert, gelang es, den ganzen Komplex aufzurollen, katastermäßig zu erfassen und großenteils neu zu vermessen. Gleichermaßen wurde dabei das Arbeitsfeld auch durch das Gebiet Elbingerode-Rübeland erweitert, womit der Grundstock zu einer einheitlichen Harzer Höhlenforschung gelegt war. Von wesentlicher Bedeutung für Ruf und Ansehen der Harzer Höhlenforschung war dabei auch die erfreuliche Tatsache, daß der damalige Hauptverband Deutscher Höhlenforscher von 8. bis 18. September 1928 seine Jahrestagung zu Nordhausen und Rübeland abhielt!

Der Vollständigkeit halber sind noch zwei wichtige Harzer Gebiete zu nennen, in denen eine sozusagen „amtliche“ Höhlenforschung stattfand, und zwar ausgelöst durch den dort umgehenden Bergbau. Es handelt sich erstens um die oben bereits erwähnte Mansfelder Mulde am Ostharz, wo der Kupferschieferbergbau im Bereich seiner Grubenbaue tief gelegene, z.T. gewaltige Gipshöhlen anfuhr, die als „Schlotten“ eine berühmte und oft berüchtigte Rolle spielten. Sie wurden unter Beobachtung und Kontrolle gehalten, sind aber, mit Auflassen der betreffenden Reviere, großenteils wieder unzugänglich geworden. NAUWERCK (Bergwerksfreud NF I, 2.Eisleben 1860), FULDA (Prüfungsarbeit Preuß.Geol.Landesanst., 1912, BIESE 1931 (Höhlenbildung I.), zuletzt der Verfasser („Zeitschrift“ 1941/42) haben ausführlich darüber berichtet. Das zweite Höhlenbergbaugebiet umschließt den Iberg bei Bad Grund, wo bis 1885 der Bergbau den natürlichen, mit Spateisenstein sekundär ausgefüllten Höhlengängen nachging. Hier liegt ein fruchtbares Betätigungsfeld jüngster Forschung (FRITZ REINBOTH, GERHARD LAUB).


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