von Stillwasserfazetten und Laugdecken Mit einem kritischen Überblick zum Stand der Diskussion Von Fritz Reinboth (Braunschweig)
1. Allgemeines Der Formenschatz von Laughöhlen im Gips war vor einigen Jahren Gegenstand eines zum Teil recht kontrovers geführten Meinungsaustausches. Den Anstoß dazu gab ein Vortrag des Verfassers auf der Hauptversammlung des Verbandes der deutschen Höhlen- und Karstforscher in Osterode 1968, der aber trotz des entscheidenden Bruches mit überkommenen Ansichten und trotz der Anwesenheit anerkannter Fachleute zunächst wenig Resonanz fand. Leider blieb der Meinungsaustausch auch später begrenzt. Von der Fachwelt wurde die Problematik in ihrer Tragweite kaum beachtet, obwohl die Formenelemente als zwingende Merkmale einer Höhlenbildung im Stillwasserbereich erkannt sind und sich auch im Karbonatkarst vorfinden (KNOLLE 1985). Daß die betreffenden Arbeiten über deutsche, amerikanische und englische Zeitschriften und Kongreßakten verteilt und in ihrer Gesamtheit nur mühsam zugänglich sind, hat sich zweiflellos negativ auf die Verbreitung der neueren Hypothesen ausgewirkt (siehe z. B. KRIEG 1981). Erst in letzter Zeit, nach Wegfall der katastrophalen Vormundschaft beschränkter Parteiideologen der SED über jeden Gedankenaustausch der Wissenschaftler in der früheren DDR mit westlichen Fachgenossen, kam es zu neuem Leben auch in dieser Diskussion (REINBOTH 1990). Mehr als eine kritische Übersicht der wesentlichen Hypothesen kann hier nicht geboten werden; manche haben nur noch historischen Wert. Für die Folgerichtigkeit und Entwicklung der Diskussion sind aber auch ihre Argumentationen nicht ohne Interesse. Wohl keinem Autor sind Irrwege beim Interpretieren seiner objektiven Feststellungen erspart geblieben. Mit der Einschränkung, daß stets „selektiv“ beobachtet wird, sobald man eine Hypothese beweisen will, ermöglicht das insgesamt zusammengetragene Material eine Beurteilung der bisher vorliegenden Theorien. Es läßt sich in zwei Gruppen untergliedern:
Zum besseren Verständnis seien die Hauptformen der Auslaugung bzw. Stillwasserkorrosion, wie sie exemplarisch im Gips auftreten (Bild 1), und die wesentlichen Hypothesen für ihre Entstehung kurz wiederholt. Die Stillwasserfazette (auch Laugfazette, Lösungsfazette, die nicht mit den Fließfacetten verwechselt werden darf) ist eine unter typisch ca. 45° geneigte Wandfläche. GRIPP, der sie erstmals als Stillwasserbildung beschrieb, erklärt ihre Entstehung mit der (infolge der mit zunehmender Sättigung zunehmenden Dichte) nach unten abnehmenden Lösungsfähigkeit des Wassers (GRIPP 1913, 1931). Hierin folgte ihm BIESE (1931). GRIPPs meist unterschlagene Priorität in dieser Frage sollte wohl mehr als bisher gewürdigt werden. BRANDT et al. (1976: 47) halten die sich einstellende Fazettenneigung für eine Viskositätsfrage. Nach ihrer Vorstellung stellt sich ein Gleichgewicht zwischen der inneren Reibung der Wasserschicht über der Fazettenoberfläche und der wirksamen Komponente der Schwerkraft ΔF x sin α ein, wobei α der Fazettenwinkel und ΔF die Schwerkraftdifferenz der Lösungen ist. Bei Winkeln unterhalb der typischen Fazettenneigung verhindert die innere Reibung des Wassers dessen Abströmen. Die morphologische Wirkung dieses Gesetzes durch eine Behinderung des Laugvorganges unterhalb einer bestimmten Neigung entspricht genau dem hypothetischen Effekt der „Ruhefläche“. Die Formen, welche mit der Ruheflächentheorie erklärt wurden, müssen sich auch hier einstellen bzw. führen umgekehrt nicht zu Widersprüchen. Da die Fazetten unabhängig vom chemisch-physikalischen Lösungsprozeß in Kalk, Gips und Salz völlig identisch sind, müssen rein mechanische Vorgänge für die Morphologie verantwortlich sein. Allein aus dieser Überlegung heraus denkbare Modelle sind sowohl die Konvektionstheorie als auch die Ruheflächentheorie. Die Beobachtung klassischer Fazetten im Steinsalz ohne jede Sedimentation auf ihren Oberflächen im Schachtsumpf des Steinsalzbergwerkes Grasleben bei Helmstedt beweisen indessen, daß der „Ruheflächeneffekt“ bei der Fazettenbildung eine sekundäre Erscheinung sein muß. Es besteht natürlich kein Zweifel, daß die verbreitete Sedimentbedeckung der Fazette als zusätzliche Schutzschicht wirkt und ihre Erhaltung begünstigt. KNOLLE weist darauf hin, daß der seit BIESE gebräuchliche Terminus „Laugfazette“ unpräzise ist, da diese Bildung im Kalk nicht durch Laugung, sondern durch Korrosion entsteht ( KNOLLE 1985: 128). Da die „Fließfazetten“ ebenfalls auf korrosivem Wege entstehen, wäre auch der Ausdruck „Korrosionsfazette“ irreführend. KNOLLE schlägt deshalb vor, in Zweifelsfällen das Wort „Stillwasserfazette“ zu verwenden. Die gleiche Überlegung gilt übrigens für den Begriff „Laugdecke“, für die LANGE (1962) die meines Erachtens treffende Bezeichnung „water level plane“ prägte. 1.1.2 Laugtaschen Daß die erstmals von BIESE (1933: 162) aus Segeberger Höhle beschriebenen Laugtaschen, die sich an den Deckenklüften aufgereiht parallel schräg in die Decke hineinziehen, zum Formenkreis der Fazetten gehören, ist schon früher gesagt worden (REINBOTH 1968: 81). Nachweisbar ist dies an einigen Stellen der Segeberger Höhle (z. B. bei Meßpunkt T 21 der neuen Vermessung), wo die Wandfazette in die Unterseite einer Laugtasche übergeht, die sich somit als Fazettenfläche erweist. Analog zur Fazettenbildung ist eine Entwicklung im Stillwasserbereich anzunehmen, d. h. die benachbarte Decke muß bei der Entstehung der Laugtaschen unter Wasser gestanden haben (REINBOTH 1968: 81). Die Anordnung an Klüften deutet wohl weniger auf Zufuhr lösungsfähigen Wassers durch diese Klüfte, da diese dann überall erweitert sein müßten. Die unten beschriebenen Versuche mit Salz haben gezeigt, daß jeder Riß vorzugsweise einen Ansatzpunkt für die in den Gesteinskörper eindringende Lösung bildet. Das dürfte auch hier der Fall sein.
1.1.3 Laugdecken Die Laugdecke ist die im Frühstadium korbbogenartig gewölbte, später von der Mitte ausgehend tischebene obere Abschlußfläche eines Laugraumes. Wie bereits ausgeführt, ist sie gegen die Fazette stets mit scharfem Knick abgesetzt. GRIPP (1913: 43 f.) sieht in ihr die durch den Wasserspiegel bedingte obere Begrenzung der Lösungstätigkeit. Dieser nur scheinbar trivialen Erklärung steht die Tatsache entgegen, daß es einen konstanten Karstwasserspiegel so gut wie nicht gibt und die Begrenzung durch dessen Höchstwasserstand nur einen Sonderfall darstellt. GRIPPs Feinnivellements an „Hohlkehlen“ (d. h. Laugdecken bzw. deren Ansätze über den Fazetten) der Segeberger Höhle haben gezeigt, daß es für diese keinen einheitlichen Horizont innerhalb der Höhle gibt. Das hinderte GRIPP allerdings nicht daran, vier mittlere Niveaus in die völlig statistisch verteilten Meßwerte hineinzuinterpretieren und die Abweichungen vom Mittelwert durch örtlich unterschiedliche Hebung des Kalkberges zu erklären (GRIPP 1920: 23 f.). Nach REINBOTH (1968: 81) tauchen tieferliegende Deckenteile häufiger in das steigende und fallende Wasser und werden deshalb bevorzugt abgelaugt. Dies ist innerhalb des Schwankungsbereiches des Wasserspiegels in jedem Niveau möglich und muß schließlich zur Ausbildung einer ebenen Laugdecke als stabilem Zustand führen. Letztlich ist also auch hier der Wasserspiegel das „Ebenheitsnormal“ für die Laugdecke. Ihre Höhenlage ist dabei undefiniert. KEMPE & SEEGER (1972: 56 f.) vermuteten als Ursache der Laugdeckenbildung zunächst eine Wirkung eines horizontalen Rücklaufs der Konvektionsströmung innerhalb der Schichtung des Wasserkörpers, die durch die Ablaugung der Fazette angetrieben wird. Praktisch nachweisbar ist dies in der Unterwasserphase kaum und es steht auch mit der ebenfalls von KEMPE (1969) aufgestellten Theorie zur Bildung der die Laugdecke überziehenden Kleinformen der Laugnäpfchen in Widerspruch. Mit dem „Salzfingereffekt“, den KEMPE et al. (1976) und BRANDT et al. (1976: 49) in die Diskussion einbrachten, wird ebenfalls die Bildung der Laugdecke unter Wasser angenommen. Die „Salzfinger“ sind trivial ausgedrückt Schlieren, die beim Ionenaustausch unter zwei übereinandergeschichteten flüssigen Lösungen unterschiedlicher Dichte auftreten. Die Laugdecke vertritt in dieser Vorstellung die obere dieser naturgemäß horizontal geschichteten Lösungen. Da die Grenze zwischen den Lösungen eben und horizontal ist, müsse analog dazu auch die Laugdecke eben und waagrecht sein. Eine Gesteinsoberfläche ist aber kein ebener Flüssigkeitsspiegel und keinen hydrostatischen Gesetzen unterworfen. Die Salzfingertheorie liefert deshalb bestenfalls ein Modell für den Ablauf des Lösungsvorganges, aber keine Erklärung für die Ebenheit und Horizontalität der Laugdecke. 1.2 Die Grundsatzfrage der Richtung der Laugung Es bedarf also nicht der Annahme wirklich nennenswerter Diffusion der Lösung durch die Fazettensedimente (KEMPE & SEEGER 1972: 5). Deshalb ist die Entwicklung großer, niedriger Säle wie z. B. in der Marthahöhle oder in der Segeberger Höhle durchaus erklärbar. Der geringe Schwankungsbereich des laugenden Wassers und die bald nach einem Entleerungszyklus eintretende Sättigung (REINBOTH 1974) erlaubte keine weitere Höhenentwicklung, so daß der Hohlraum im Laufe der Zeit eben breiter wurde als hoch. Anderseits steht außer Frage, d a ß die Lösung an der Firste um Größenordnungen schneller erfolgt als auf sedimentbedeckten Fazettenoberflächen, wie es der Verfasser bereits 1968 postulierte. In den Sinkwerken des ostalpinen Solebergbaus erfolgt die Laugung ausschließlich am sogenannten Himmel, nicht an den Ulmen, die den Fazetten entsprechen (REINBOTH 1968: 76). Besonders Korrosionshöhlen im Tiefkarst, z. B. die Kubacher Höhle und die Wimmelburger Schlotten, zeigen ausgeprägtes Höhenwachstum. In den Wimmelburger Schlotten bestätigen die über alle Wände der rundlichen, mit den Nachbarräumen nur durch enge Passagen verbundenen Kuppelhallen verteilten Fazetten und die darüber sich aufwölbenden Laugkuppeln mit senkrecht orientierten Laugnäpfen besonders eindrucksvoll die nach oben, nicht seitlich gerichtete Laugung. Ein weiteres Beispiel sind künstliche Kavernen im Steinsalz (BÈREST et al. 1981: 558). Das völlige Fehlen von Laugdecken (im Sinne einer horizontalen Verebnungsfläche) in den Wimmelburger Schlotten beweist meines Erachtens die ursprünglich ununterbrochene restlose Füllung dieser Laugräume ebenso wie die Entstehung der Laugdecken durch freie Wasserspiegel. Die Gültigkeit der Kondenswasserkuppeltheorie, welche episodisch gefüllte Räume voraussetzt, wird allerdings durch diese Betrachtung a priori in Frage gestellt. Das teilweise Leerlaufen der Hohlräume ist mit großer Wahrscheinlickeit erst eine Folge der bergmännischen Wasserhaltung und der großen Stollenbauten. Daß die Bergleute die Schlotten als geheimnisvolle Wasserschlinger benutzt haben sollen, ist ohne Frage in dieser Vereinfachung eine wissenschaftliche Legende. Wo hätte das Wasser bleiben sollen, wenn ein Vorfluter fehlt? Die Kubacher Höhle bei Weilburg mit ihren riesigen Fazetten und noch ausgeprägterer Höhenentwicklung ist ein weiteres augenfälliges Beispiel für eine von unten nach oben fortschreitende Laugtätigkeit (KNOLLE 1985). 1.3 Einige Bemerkungen zum Gang der Diskussion in der früheren DDR Zu einer Diskussion über die Hauptformen der Laugung ist es in der früheren DDR nicht gekommen, obwohl sich gerade im östlichen Südharz die bedeutendsten Gipskarstvorkommen Europas befinden. Eine kritisch begründete Auseinandersetzung mit den alten Vorstellungen GRIPPs und BIESEs blieb weitgehend aus. Die Beiträge zur Morphologie erschöpfen sich vielfach in der Wiederholung und Erörterung der BIESEschen Theorie (GARLEB 1975). Nachdem einzelne Autoren deren Vorstellungen mit eigentlich wenig stichhaltigen Argumenten in Frage gestellt haben (VÖLKER 1973, GRAF 1976:2), wurde fließendem Wasser eine wesentliche Rolle für die Morphologie eingeräumt (VÖLKER 1973, MUCKE 1990 u. a.). Eine klare Hypothese dazu konnte sich allerdings (begreiflicherweise) nicht durchsetzen. Insgesamt ergeben die sehr verstreuten Publikationen ein sehr verworrenes Bild, das noch einer Klarstellung von berufenerer Seite bedarf. In einer Arbeit von KOCKERT (1972) werden die von REINBOTH (1968) und KEMPE (1970) vorgetragenen Ansichten kommentiert und eine Beziehung zwischen Fazettenwinkel (45°), Höhe des Lösungspunktes h und Lösegeschwindigkeit v entwickelt: tan 45° = h/v. Diese Gleichung ist aber physikalisch unsinnig, da der Quotient einer Länge und einer Lösegeschwindigkeit nicht der dimensionslose Tangens eines Winkels sein kann. Mit diesem Beitrag bricht dann die Auseinandersetzung mit der weiteren Entwicklung im Westharz praktisch ab. Gerade die genannten, nach KOCKERT weiterzitierten Aufsätze von REINBOTH und KEMPE sind für den heutigen Kenntnisstand wenig repräsentativ und waren für die meisten DDR-Forscher vermutlich ohnehin unzugänglich, so daß ihre teilweise mißverständliche Wiedergabe durch KOCKERT das Bild weiter verwirrte. So gewinnt man bezüglich der Morphologie den Eindruck weitgehender Unkenntnis der bisherigen Argumentation, wenn nicht gar der Diskussion „im Westen“ überhaupt. VÖLKER (1973) bezweifelt die Bedeutung von Laugprozessen bei der Fazettenbildung; ähnlich interpretiert GRAF (1976: 5) die Fazetten als Kluftflächen bzw. als durch Schichtwasser entstanden (GRAF 1976: 2, 3) und wertet die Leitform damit mehr oder weniger als Zufallsprodukt ab. Nachdem VÖLKER (1973) der Erosion — sogar von Efforation ist später die Rede (VÖLKER & VÖLKER 1986: 48) - eine größere Rolle für die Morphologie der Gipshöhlen eingeräumt hatte, versuchen MUCKE, HAHNE & LEGLER (1980: 51) das Hohlraumprofil mit Fazetten und ebener Decke als Ergebnis der Laugtätigkeit fließender Gewässer zu deuten. Die Abhängigkeit zwischen der von oben nach unten abnehmenden Fließgeschwindigkeit und der Lösungsgeschwindigkeit soll das oben breiter werdende Profil erklären. Für die Fazetten postuliert MUCKE eine Fließgeschwindigkeit, welche die Konvektion unterdrückt, und sieht im Fehlen der Laugnäpfe auf den Fazetten ein Indiz für deren Entstehung in fließendem Wasser ( MUCKE 1990). Fazetten treten aber an so vielen Stellen auf, an denen nichts fließen kann, daß sich eine weitere Diskussion dieser Hypothesen wirklich erübrigt. Es sei nur auf die vielen blinden Gänge mit klassischem Laugprofil (schönstes Beispiel: Lauggang im Ostteil der Segeberger Höhle) verwiesen. Die Argumentation, daß sich die Fazettenneigung nicht zeitabhängig ändert, gilt auch hier. Die Beobachtung, daß Fazetten in ruhenden Gewässern gelegentlich korrosiv zerfressen sind (MUCKE, HAHNE & LEGLER 1980: 51 mit Skizze S. 54 und MUCKE 1990), ist kein Gegenbeweis, da die Fazetten immer von hinten zerstört werden. MUCKES Vorstellungen fanden indessen recht unkritische Verbreitung. REUTER & TOLMACEV (1990: 46) behandeln MUCKEs Hypothese als gültige Theorie. Bei VÖLKER (1981: 3) sind dann „schräge Wandflächen“ in der Heimkehle „typische Kennzeichen für fließendes Wasser“, „die mit Sicherheit alte Wasserstandsniveaus nachzeichnen“ (VÖLKER 1984:29), und „die großen Laugnäpfe die eigentlichen Laugfacetten“ [1981: 16]). Es ist unklar, was VÖLKER hier eigentlich sagen will. Aus Laugnäpfen und Fließfazetten wird hier offenbar ein eingeführter Terminus umdefiniert; Laugnäpfe und Fließfazetten sind aber zweierlei! Auch an anderer Stelle werden die Laugnäpfe als Fließfazetten interpretiert (VÖLKER & VÖLKER 1986:45). Im Gegensatz hierzu beschreibt MUCKE (1990) die Laugnäpfe korrekt als Konvektionsform. REUTER, MOLEK & KOCKERT (1977:104), welche die Fließwasserthesen MUCKEs aufgreifen und dabei auch die übrigen Theorien streifen, übersehen die grundsätzlichen Unterschiede der neueren Hypothesen gegenüber den Vorstellungen GRIPPS. Wichtig ist indessen der Hinweis auf die Möglichkeiten der Mischungskorrosion im tiefen Gipskarst. Schon immer war bekannt, daß Sole mehr Gips lösen kann als Wasser (1977:14); der Zutritt von Sole in mit Gips bereits gesättigtes Wasser kann also eine der Mischungskorrosion vergleichbare Wirkung zeitigen ( MUCKE & VÖLKER 1978:31). Es bedarf aber nicht grundsätzlich der Mischungskorrosion, um im Gips die Laugung zu beschleunigen. Die riesigen Hohlräume der Numburghöhle (VÖLKER 1989 a) und das benachbarte Auftreten von Sole (Aulebener Solquelle) sind sicher nicht zufällig, ohne deshalb die Mischungskorrosion bemühen zu müssen. Für die Detailmorphologie ist dies aber nicht relevant. Für den holozänen Gipskarst lassen sich diese Effekte sicher auch nicht verallgemeinern. Ein wichtiger Beitrag zur Lösungsmorphologie sind die Hypothesen über die Wirkung der Kondenswasserkorrosion in sogenannten Kondenswasserkuppeln, wie sie für den Gipskarst aus den Mansfelder Schlotten beschrieben werden (MUCKE et al. 1980, WADEWITZ 1981; VÖLKER 1989 b). Eine kritische Diskussion steht aber noch aus. Die Kondenswassertheorie setzt einen freien Wasserspiegel im Höhlenbereich voraus. Soweit in den Kuppeln Laugnäpfe ausgebildet sind, können nur Lösungsformen im Unterwasserbereich, also unterhalb eines Wasserspiegels, vorliegen. Wie bereits gesagt, ist auch das Fehlen horizontaler Laugdecken ein Indiz für ständige, vollkommene Inundation. 2. Experimenteller Teil 2.1 Ältere Versuche: Kempe & Hartmann 2.2 Beschreibung der jetzigen Versuche Um neue Denkansätze zu finden, wurden einige Lösungsversuche an Steinsalzblöcken vorgenommen. Diese sollten klären, a) ob es einen Fazettenwinkel mit auffallendem Lösungsverhalten gibt;2.2.1 Versuche zur Fazettenbildung 2.2.1.1 Lösungsgeschwindigkeit auf geneigten Flächen Die Methodik des Verfassers war völlig anders als die von KEMPE & HARTMANN gewählte. Der Gewichtsverlust des getrockneten Blocks wurde auf einer elektronischen Präzisionswaage mit einer Unsicherheit von 50 mg (bei einem Anfangsgewicht von etwa 500 g) bestimmt. Es zeigte sich, daß der Lösungsabtrag pro Flächen- und Zeiteinheit von der Neigung 0° (liegend) bis 180° (hängend) systematisch zunimmt. In Abbildung 2 sind die aus 5 Meßreihen gemittelten Werte mit dem Streubereich der Einzelmcssungen zusammengefaßt. Die Streuung, besonders im Bereich über 90°, ist u. a. durch Ansammlung von Gasbläschen unter der Salzfläche bedingt. Eine frühere Einzelmeßreihe bei 10minütiger Lösungsdauer zeigte die gleiche Tendenz bei selbstverständlich höherem Abtrag. Erkennbar, wenn auch kaum signifikant, ist der Knick des Lösungsverhaltens bei 90°, also am Übergang der Wand zur überhängenden Decke. Er spiegelt sich in der scharfen Abgrenzung der Fazette zur Laugdecke wider, die aber vor allem durch die erhebliche Differenz der Lösungsgeschwindigkeiten bei 45° (Fazette) und 135° — 180° (übliche Deckenneigungen im Bereich des Fazettenrandes) erklärt wird. Ein irgendwie auffälliges Verhalten bei den Neigungen um 45° läßt sich dagegen überhaupt nicht erkennen. Dies widerspricht dem Konvektionsmodell, nach dem sich die Lösungsgeschwindigkeit bei Neigungen unterhalb ca. 45° sprunghaft verringern müßte! Dieses Ergebnis, das auch zu dem folgenden Versuch scheinbar im Widerspruch steht, bedarf noch der Klärung. Möglicherweise ist der Effekt zu gering, um mit den gewählten Mitteln meßbar zu sein. Vielleicht ist aber auch die Erklärung der Fazetten als schräge Ablauffläche der Lösung viel trivialer, als bisher angenommen wird. Abb. 2: Gelöste Salzmenge in Abhängigkeit des Neigungswinkels der Salzoberfläche. Die schraffierte Fläche wird durch die jeweils größten und kleinsten Meßwerte begrenzt und gibt den maximalen Streubereich an. 2.2.1.2 Erzeugung von Fazetten Ein weiterer Versuch stützt wieder eindeutig die Konvektionstheorie. An senkrecht ins Wasser gestellten Salzklötzen lassen sich sehr schöne kleine Fazetten erzeugen, wobei man das Abströmen der Lösung auf der Fazettenoberfläche gut beobachten kann (Bild 3 und 4). Die Probekörper, welche denen aus Versuch 1 glichen, wurden im Abstand von etwa 10 Minuten aus dem Wasser genommen und die Laugprofile in zwei Schnittebenen mit einem umgebauten Storchschnabel abgefahren und aufgezeichnet. Die kleinen Fazetten, die sich entwickeln, sind anfangs steiler (um 60°) als im späteren Stadium, wie Bild 4 erkennen läßt. Daß der Ruheflächeneffekt den Neigungswinkel der Fazetten bestimmt, kann auch aufgrund dieses Versuchs endgültig ausgeschlossen werden. Auffallend ist die völlig statistische Verteilung der Fazetten bzw. ihrer Oberkanten in der Vertikalen. Daß diese „Hohlkehlen“ (GRIPP 1920) nicht zwingend Zeugnisse eines Wasserstandsniveaus darstellen, ist schon früher begründet worden (REINBOTH 1968: 79). Einen ähnlichen Eindruck bieten z. B. junge Fazettenbildungen in dem See der unteren Sohle der Marienglashöhle bei Friedrichroda. Abb. 3: Zwei Profile einer senkrecht im Wasser stehenden Salzoberßäche in verschiedenen Stadien der Ablaugung. Die Entwicklung kleiner Fazetten ist deutlich zu erkennen. 2.2.2 Versuche zur Laugdeckenbildung 2.2.2.1 Salzfingermodell Ein weiterer Versuch sollte das von KEMPE et al. (1976) und BRANDT et al. (1976: 49) erörterte Salzfingermodell experimentell nachvollziehen. Hierzu wurde ein Salzblock mit ebener Unterseite schräg in einen Topf mit Wasser über einem Bodenkörper von Salz gehängt, in der Annahme, nun müsse sich eine schräge Begrenzung der Salzfinger einstellen. Nach Einfärbung des Wassers mit Tinte zeigte sich, daß die blauen Schlieren unten in einer scharf ausgeprägten horizontalen Ebene endeten, trotz der ca. 30° schrägen Salzfläche darüber. Ein Grund für diese Begrenzung könnte das Gleichgewicht der Dichte in den Schlieren und der Ebene sein, die ja eine Fläche gleicher Dichte darstellt. Die gravitative Antriebskraft für das Abströmen der Schlieren wäre hier aufgehoben. Auffallenderweise liegt diese Ebene aber stets in der Höhe der oberen Begrenzung des Bodenkörpers, d. h. der dort liegenden Salzstücke. Sie ist also augenscheinlich die Obergrenze gesättigten Wassers; eine Durchmischung tritt nicht ein. Diese Beobachtung läßt sich meines Erachtens nicht auf die Verhältnisse in einer Laughöhle übertragen. Eine Erklärung für die ebene Laugdecke liefert sie somit nicht. Im Gegensatz zum freien Wasserspiegel wäre die geschilderte Ebene auch kein Grund für eine bevorzugte Ablaugung tieferer Deckenteile, wie sie die Ausbildung ebener, horizontaler Decken erfordert. Im Gegenteil: ein Deckenstück, das in gesättigte Schicht „eintaucht“, wird gar nicht mehr abgelaugt und somit nicht eingeebnet. Eine beim gleichen Versuch beachtete Erscheinung könnte morphologisch wirksam sein: Das Abströmen der Schlieren erfolgte stets entlang der Oberfläche des Salzblocks, am lebhaftesten an deren geneigten Teilen, d. h. der Lösungsvorgang erreicht dort (analog zu den Ergebnissen aus dem ersten Versuch) ein Maximum. Der erste Versuch zeigte dieses Abströmen bis zu einem Winkel von 150°, erst dann bildeten sich ortsfeste Schlieren im Sinne der „Salzfinger“. Eine horizontale Decke verändert sich somit gegenüber geneigten Deckenteilen in geringerem Maße. Zur Erklärung der Laugdecken eignet sich dieser Vorgang indessen nicht. Wenn ein schräges Deckenstück oberhalb einer horizontalen Fläche rascher zurückverlegt wird als diese, so wäre deren Herauspräparieren die Folge. Vielleicht lassen sich die bisher nicht erklärten „Pendants“ (z. B. in der Heimkehle) so deuten. 2.2.2.2 Feste Wasserspiegel Um die Wirkung eines festen Wasserspiegels auf ein eingetauchtes Gesteinsstück zu untersuchen, wurde ein Steinsalzblock in ein Wasserbad gehängt und sich selbst überlassen. Wie nicht anders zu erwarten, war der Block nach einigen Stunden bis zur Höhe des Wassers abgelaugt. Seine Unterseite war unregelmäßig zerfressen und in der Mitte etwa 5 Millimeter konkav eingetieft; offenbar hatte der Luftdruck das Wasser etwa in das Steinsalz hineingedrückt. Irgendeine Ähnlichkeit mit einer Laugdecke ließ das Endergebnis nicht erkennen.
2.2.2.3 Schwankende Wasserspiegel Der Verebnungseffekt des steigenden und fallenden Wasserspiegels hingegen ließ sich nachvollziehen. Ein ähnlicher Salzblock wie der im vorigen Versuch verwendete, mit unregelmäßig konvexer Unterseite, wurde in ein Becken gehängt und der Wasserspiegel durch Zulauf und Ablauf um etwa 5 cm bis knapp unter diese Unterseite langsam gehoben und gesenkt. Nach einigen Dutzend Eintauchzyklen war die Unterseite vollkommen eingeebnet. Die Ränder blieben leicht erhöht. Die nach KEMPEs Versuchen zu erwartenden laugnäpfchenartige Bildungen waren indessen nicht zu erkennen und zeigten sich lediglich an den steil geneigten Randflächen. Die Entstehung der Laugnäpfchen in kleinen „Konvektionszellen“, wie sie KEMPE (1969) beschreibt, ließ sich also experimentell nicht nachweisen, obgleich doch die Voraussetzung der eingetauchten Oberfläche gegeben war. 2.3 Schlußbemerkung Die hier erörterten Versuche brachten nicht immer eindeutige Resultate. Solange die Widersprüche nicht geklärt sind, sollte keine der bisherigen Theorien als endgültig betrachtet werden. Dieser Beitrag soll die Beobachtungen für weitere Überlegungen und Diskussionen bereitstellen und möchte zur Fortsetzung der Diskussion anregen. Eine einzige allgemeingültige Theorie wird es bei der Vielfalt der Einzelformen und der Verkarstungsbedingungen ohnehin nicht geben. 3. Bibliographie (in chronologischer Reihenfolge) Gripp, Karl (1913): Über den Gipsberg in Segeberg und die in ihm vorhandene Höhle. — Jb. der Hamburgischen Wiss. Anstalten, XXX (1912), 6. Beiheft: 35-51, Taf. I—VII, Hamburg. REINBOTH, Fritz (1992): Laborversuche zur Entstehung von Stillwasserfazetten.- Die Höhle 43 , H.1, 1-18, 5 Abb., Wien |