HEIMATBLÄTTER


FÜR DEN
SÜD-WESTLICHEN HARZRAND


Heft 52 - 1996
ISSN 0175-7040

Frank Seeringer

Der Schneitel-Hainbuchenbestand bei Düna

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einem ausgewählten Schneitel-Hainbuchenbestand bei Düna als Beispiel einer extensiven Landnutzungsform. Es sind Auszüge von mir vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen des Botanischen Institutes der Universität in Göttingen.

Der Schneitel-Hainbuchenbestand liegt ca. 500-600 m südlich der Ortschaft Düna, an der Straße von Düna nach Hörden. Düna selbst gehört zum Zechsteingebiet des südwestlichen Harzvorlandes und ist nur wenige Kilometer vom nördlich gelegenen Osterode entfernt. Östlich des Ortes verläuft heute in einer 1-2 km breiten Einsenkung, die eine morphologische Trennlinie zwischen dem Harzmassiv und der Schichtstufenlandschaft des Zechsteins bildet, die Schnellstraße von Osterode nach Herzberg.

Der Schneitel-Hainbuchenbestand bei Düna repräsentiert eine Form der extensiven Holznutzung, die schon seit dem Neolithikum bekannt ist.

Die Physiognomie der Bäume läßt auf Kopfschneitelung, aber auch auf einfache Kopfholznutzung schließen, da die Schlagmarken keinen eindeutigen Rückschluß auf die ehemalige Betriebsform erlauben.

Heute wird der Bestand während der Vegetationsperiode beweidet. Diese kombinierte Betriebsform von Holzentnahmewirtschaft und Weidewirtschaft kann ebenfalls bis in die Ur- und Frühgeschichte des Menschen zurückverfolgt werden und erlebte ihre größte flächenhafte Ausdehnung während des Mittelalters.

Während die Menschen zum Zweck der Nahrungsproduktion schon früh von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise übergingen, entbehrte dies in bezug auf die Holznutzung der Notwendigkeit, da hier ein Nachwachsen der primären Ressourcen gewährleistet war, und zwar um so mehr, als die Entnahme den neuen Austrieb verstärkt auslöste.

Erst eine Übernutzung der Entnahmeformen machte Anpflanzungen und Aussaaten von Gehölzen notwendig.
Der Dünaer Bestand stellt eine solche Freilandsaat oder -anpflanzung dar, wie sie ab der Mitte des 18.Jhs. zu finden sind. Er datiert jedoch in die spätere Neuzeit. Der Grund dafür, daß die Schneitel-Hainbuchen als Relikte einer alten Landnutzungsform heute noch vorhanden sind ist primär in ihrem agrarwirtschaftlich nicht nutzbaren Standort zu suchen, der wahrscheinlich auch den Anlaß für ihre Anpflanzung bzw. Aussaat darstellte.

Der 63 Hainbuchen zählende Bestand ist in Reihen angeordnet, die regelmäßige Abstände zueinander aufweisen, so daß schon der Augenschein auf eine Anpflanzung oder Aussaat schließen läßt und Vermutungen, daß der Bestand der Rest eines früher größeren Gehölzes oder Waldes ist, von vorneherein ausgeschlossen werden können.

Die Naturschutzbehörde des Lkr. Osterode hat den Schneitel-Hainbuchenbestand nach § 28 des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes im Jahr 1984 zum »geschützten Landschaftsbestandteil« erklärt.
Da die Unter-Schutz-Stellung nur dann sinnvoll ist, wenn der Bestand seiner alten Nutzungsform wieder zugeführt wird, die den Grund für seine charakteristische Physiognomie und ökologischen Strukturen darstellt, wurde ein Teil der Hainbuchen erneut »geschneitelt«.

Das erste Drittel des Bestandes (18 Bäume) wurde im Herbst/Winter 1988/89 beschnitten. Dabei handelt es sich um den Teil der Bäume, die am Hangfuß und am unteren Teil des Hanges stehen.
Das sich daran anschließende zweite Drittel (22 Bäume) wurde zwei Jahre später, im Winter 1990/91 zurückgeschnitten. Das letzte Drittel folgte im Winter 1992/93.

Die von der Naturschutzbehörde vorgenommene Dreiteilung des Bestandes hat den Vorteil, daß ein möglicher Mißerfolg der Pflegemaßnahme nicht den gesamten Bestand gefährdet.
Als Nebeneffekt wird jedoch die früher übliche Einteilung in Schläge demonstriert, und mit ihr die Konsequenzen für das Vieh und die Pflanzen.

Nach Aussagen älterer Einwohner Dünas, wurde in Abständen von 3 - 10 Jahren geschneitelt; wenn das Laub als Futter oder Einstreu dienen sollte, erfolgte der Abtrieb eher in kürzeren Abständen; wenn es um Nutzung von Knüppeln ging, eher nach 10 oder mehr Jahren.

Laubfutternutzung fand in Düna vor allem in trockenen Jahren statt, wenn die Streuobstwiesen zu wenig Heu lieferten.
Noch während des 2.Weltkrieges wurde Laub geharkt und geschneitelt oder abgestreift, das die Bauern als Futter oder Einstreu benötigten, da sie einen Teil des Grasheus an die Wehrmacht abzugeben hatten.

Neben den erwähnten Verwendungszwecken des Hainbuchenholzes wurde Hainbuche gern als Brennholz genutzt, vor allem um Brau- und Waschkessel zu befeuern.

In der Gegend um Düna gibt es außer dem beschriebenen Schneitel- Hainbuchenbestand noch vier weitere Relikte dieser alten Landnutzungsform, von denen der ausgewählte Bestand die größte flächenmäßige Ausdehnung besitzt. Vielleicht hängt diese Häufung mit der ehemaligen Domäne in Düna zusammen, die gezielt Anpflanzungen vornehmen ließ.

Auffällig ist die Tatsache, daß alle Bestände auf nicht ackerbaulich nutzbaren Standorten stocken, an Hängen und auf Hangkuppen. Wenn man eine planmäßige Anpflanzung unterstellt, dürfte dies einen entscheidenden Grund für die Erhaltung der Bestände darstellen. Ob die Anpflanzungen in einem bestimmten Zeitraum erfolgten, müßte überprüft werden, indem man z.B. Klupplisten von den Bäumen der verschiedenen Bestände anfertigt und miteinander vergleicht.

Ein weiterer Grund für die Erhaltung der Bestände ist darin zu schen, daß sich die Aufmerksamkeit der Naturschutzbehörde schon relativ früh auf diese Gegend gerichtet hat, da hier eines der letzten unberührten Gipskarstgebiete vorhanden ist (NSG Hainholz), so daß eine Unter-Schutz-Stellung von 3 der 5 Beständen erfolgte.

Neben dem beschriebenen Schneitel-Hainbuchenbestand wurde ein Schneitel-Hainbuchenbestand am Eingang des NSG Hainholz unter Schutz gestellt sowie ein weiterer Schneitel- Hainbuchenbestand, der westlich von Hörden, am Haselberg, liegt.

Die Fläche des zuletzt genannten Bestandes ist ebenfalls wie der Bestand auf dem Südberg auf der Königlich-Preußischen Landesaufnahme von 1876 und 1908 als mit Laubbäumen bestanden eingezeichnet, was ein weiteres Indiz für Anpflanzungen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes darstellt.

Ein vierter Schneitel-Hainbuchenbestand stockt westlich von Düna am Wasserbehälter, und ein letzter Bestand ist westlich der Schnellstraße von Herzberg nach Osterode zu finden. Er ist ebenfalls auf der Königlich-Preußischen Landesaufnahme von 1876 und 1908 zu finden und wird heute noch beweidet


Die Fläche, auf der die Schneitel-Hainbuchen wachsen, ist eindeutig zu identifizieren. Eine Einzäunung war damals offensichtlich noch nicht vorhanden. Foto: Poehling

Der Schneitel-Hainbuchenbestand auf dem Südberg bei Düna sowie die anderen unter Schutz gestellten Bestände gelten als »historische Kulturlandschaftsteile« nach § 2 des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes.
Als Zeugen einer historischen Bewirtschaftungsform, die in der Vergangenheit Laub und Holzsortimente für landwirtschaftliche Zwecke und Brennholz lieferte, sind sie heute aufgrund veränderter Nutzungsstrukturen nur noch vereinzelt erhalten. Die vom Menschen durch das Schneiteln provozierte, erhöhte Ausschlagsfreudigkeit bedroht heute das Leben der Bäume, weil die Nutzung nicht mehr in angemessenen Zeitabständen erfolgt, so daß die Austriebe durchwachsen und schließlich zu schwer für den Stamm werden. Die Gefahr des Auseinanderbrechens droht.

Neben der standortsbedingt mosaikartig gegliederten Vegetation und der daraus resultierenden Artenvielfalt können solche Flächen Rückzugsgebiete für seltene und gefährdete Pflanzenarten sein.

Die Schneitel-Hainbuchen am Südberg waren mit verschiedenen Arten von Moosen, Flechten und Pilzen bewachsen auch sitzen auf den Bäumen Gelegenheitsepiphyten, vor allem wenn Humus in Höhlungen geweht wurde oder der Zersetzungsprozeß des Holzes vorangeschritten ist.
In den Höhlungen der Bäume finden Vögel Brutgelegenheiten, die zudem die angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen von sog. »Schädlingen« befreien. Daneben bietet die außerordentlich dichte Belaubung der Neuaustriebe zahlreichen Freibrütern optimale Nistgelegenheiten. Auch für die Gattung der Fledermäuse sind alte und ausgehöhlte Kopf- oder Schneitelbäume sowohl Tag- als auch Überwinterungsquartiere.

Für viele Insekten, vor allem für Großkäfer, stellen solche Relikte alter Landnutzungsformen die letzten weitgehend herbizid- und insektizidfreien Grünlandbiotope dar, in denen sie existieren können.

Um zu verhindern, daß aufgrund der veränderten Bedarfsstrukturen die Relikte alter Landnutzungsformen trotz ihrer vielfältigen Nutzbarkeit verschwinden, ist neben einer Kartierung dieser Bestände ihre Unter-Schutz-Stellung zukunftsweisend, zumal sie – genau betrachtet – unter zwei Aspekten erhaltenswert sind: Zum einen sind sie wirtschafts- und kulturgeschichtliche »Dokumente«, die Auskunft über das Verhältnis von Mensch und Natur und von ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten geben, zum anderen sind sie aufgrund ihrer vielfältigen Flora und Fauna auch im Sinne des »klassischen« Naturschutzes erhaltenswert.

Impressum / Datenschutz