Die Gipsfabrik Augustental

- von Friedrich Armbrecht -

Gips ist in der Osteroder Gegend von altersher ein beliebter Baustoff. Der Gipsstein wurde in früheren Jahrhunderten oft direkt an der Baustelle gebrannt. Bereits 1548 wird eine "Ratskalkmühle" in Osterode erwähnt. Eine industrielle Nutzung begann jedoch erst zwischen 1850 und 1920. In diesem Zeitraum versuchten eine Reihe von Firmen, das Gipsvorkommen des südwestlichen Harzrandes auf breiter Basis auszunutzen.


So ist es auch zu verstehen, dass der Lederfabrikant August Stöckicht (1803 bis 1879) an der Chaussee nach Herzberg ein Gipswerk einrichtete. Er war ein Sohn des Lohgerbers Johann Andreas Friedrich Stöckicht (Neubürger 25.6.1799) und dessen Ehefrau Johanne Marie Sophie, geb. Harenberg. Die Eltern kamen beide aus einer alten Osteroder Lohgerberfamilie und so war es auch nicht verwunderlich, dass der Sohn den gleichen Beruf erlernte. Bereits mit 19 Jahren, am 18. April 1823, wurde der Lohgerbergeselle August Stöckicht Bürger und er scheint eine recht tatkräftige Persönlichkeit gewesen zu sein. Der Umgang mit Gips war ihm als Gerber nicht unbekannt, denn in den "Kalkgruben" die bis zu 3/4 mit "Kalkmilch" angefüllt waren, wurden damals die Häute während des Gerbeprozesses behandelt. Doch Stöckicht hatte die vielfältige Nutzung des Gipses wohl erkannt und so begann er um 1850 mit der rationellen Herstellung größerer Mengen Baugips.

Nachdem bis in die Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Gipserzeugung rückläufig war, brachte der Beitritt Hannovers zum deutschen Zollverein ab 1854 eine Beseitigung hinderlicher Zollverordnungen (z. B. zwischen den Ländern Hannover und Braunschweig) mit sich, so dass auch Belebung der Gipsbranche spürbar wurde. Auch die Verbesserung des Straßennetzes und danach der Eisenbahnverbindungen führte dazu, neuen Absatzraum zu finden. Daneben war auch eine mehr und mehr fortschreitende Spezialisierung zu beobachten, die vor 100 Jahren schon erstaunlich entwickelt war und viele unterschiedliche Erzeugnisse ermöglichte.

Das Rohmaterial für das "Fabriketablissement Augustenthal" wurde einige hundert Meter östlich des Werkes in einem Steinbruch oberhalb der "Teufelsbäder" gewonnen. Schon zu Stöckichts Zeiten, vielleicht aber auch etwas später, wurde das Gestein auf einer Feldbahn mit Loren herantransportiert [noch erkennbar auf dem Messtischblatt Nr.4227 aus dem Jahr 1936]. Nachdem August Stöckicht am 27. April 1879 im Alter von über 75 Jahren verstorben war (seine Ehefrau Friederike Wilhelmine geb. Schambach war schon zuvor verstorben) kam das gesamte Anwesen in andere Hände. Am 28. September 1879 wurde zwischen dem Testamentsvollstrecker A. Multhauf und der Firma "Lyding & Reinhard", vertreten durch Heinrich Lyding und Eduard Reinhard, ein Kaufvertrag geschlossen, demzufolge die Firma das an der Herzberger Landstraße unter Nr. 104 der Häuserliste aufgeführte und der Gemeinde Freiheit zugehörige Fäbriketablissement mit allen Gebäuden, Gärten und Ländereien erwarb.


Von den Gebäuden wurden einzeln aufgeführt:
  • a) das Wohnhaus und Fabrikgebäude mit dem darin befindlichen Wasserwerk und dem umgehenden Zeuge (Maschinen) Nr. 104
  • b) dem Ziegeleigebäude Nr. 104 a
  • c) der Gipsmühle mit dem umgehenden Zeuge Nr. 104 b
  • d) dem Scheunen- und Stallgebäude Nr. 104 c
  • e) dem Lagergebäude (Gipsniederlage) Nr. 104 d.

Hinzu kamen etliche einzeln aufgeführte Ackerländereien, Wiesen , Weiden und Gärten sowie ein Hofraum und das 5 ha, 58 a und 84 qm große "kleine Teufelsbad". Für 27 000 Mark erwarb die Firma ,"Lyding & Reinhard", die schon ab 1866 Eigentümerin der benachbarten "Fabrik Grevenstein" war, das recht umfangreiche Grundstück. Stöckichts Söhne Carl und August Friedrich hatten offenbar kein Interesse, das väterliche Unternehmen weiterzuführen. Im Gegenteil, im Oktober des gleichen Jahres verkaufte der Lederfabrikant August Stöckicht jun. zusätzlich eine Wiese an den Fabrikanten Eduard Reinhard "zu Grevenstein vor Osterode".

Vermutlich wurde das unter Nr. b) im Kaufvertrag aufgeführte Ziegeleigebäude weiterverkauft, zumindest aber durch einen Dritten genutzt, denn im Oktober 1879 verkaufte der Ziegelmeister Heinrich Neuse "zu Augustenthal vor Osterode" Ländereien im Katzensteiner Burggrund an den dortigen Eimermacher Zacharias Lange.

Am 15. März 1894 wurden die "Osteroder Gypswerke Augustenthal" von dem Mansfelder Fabrikanten Franz Becker erworben. Becker war am 24.5. jenes Jahres auch Osteroder Neubürger geworden. Schon am 1. Januar 1895 übernahm der Fabrikant Eduard Harmsen aus Flensburg das Werk (Neubürger 9.1.1895), doch schon am 5. August 1896 hieß es in einer Bekanntmachung: "Die Firma ist erloschen". Nun kaufte Julius Lausen aus Schleswig das Unternehmen, das bis zum I. Weltkrieg immerhin 20 Arbeiter beschäftigen sollte. In den nächsten 20 Jahren wechselten dann ständig die Besitzer, z.B.:

  • 1901 Fa. Gustav J. Sörensen GmbH Hamburg
  • 1902 Kaufmann Julius Jessen
  • 1904 Fb. Boergartz & Pohlig
  • 1913 Witwe Ida Meyer, geb. Hemmerling (Neub. 28.1.1913)
  • ebenfalls 1913 Fb. W. Lüders & Co.
Ab 1926 war die Firma, "Gips- und Gipsdielenfabrik Augustenthal GmbH" Eigentümer. Im Dezember dieses Jahres brannte die große Scheune auf dem Grundstück ab und das Unternehmen verlegte sich nun auf die Herstellung von Rohgipssteinen und Rohgipsschrot. 1939 erwarb Wilhelm Schäfer die Gipsfabrik. Als 1941 der Gast- und Landwirt Willi Marchhausen das Anwesen kaufte, war der Gewerbebetrieb bereits eingestellt und die umfangreichen Räumlichkeiten sollten fortan nur noch wohn- bzw. landwirtschaftlichen Zwecken dienen.



Nach einem Beitrag im "Echo am Sonntag" vom 07. September 1986
(Serie aus: Historische Zeugen der Fabrikstadt Osterode)

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