Die beheizten Bahnsteige von Barbis

- von Boris Janssen -

Wer am Bahnhaltepunkt „Bad Lauterberg im Harz/Barbis“ zum ersten Mal Südharzer Boden betritt, ahnt nicht, dass er von einer echten Attraktion begrüßt wird. Denn das Besondere der Station versteckt sich unter seinen Füßen: die einzige geothermische Bahnsteigheizung in Deutschland. Als Pilotprojekt wurde der Haltepunkt im Dezember 2005 eingeweiht.
Man will hier erforschen, ob Bahnsteige mit Erdwärme zuverlässig, umweltfreundlich und kostengünstig beheizt werden können. So sollen Schnee und Eis schmelzen - und der Deutschen Bahn den teuren Winterdienst sparen. Einer, der das Projekt aufmerksam beobachtet, ist Detlef Krusche.

Hell, stufenlos und schneeabweisend: Bahnsteig 2 (Richtung Nordhausen) an einem nasskalten Winternachmittag. Von Gleis 1 geht es im Stundentakt zum ICE-Bahnhof Göttingen - dem regionalen Femverkehrsknoten. Foto: Janssen

Er ist Bahnhofsmanager in Göttingen und in dieser Funktion Hausherr über 60 Bahnstationen in der Region. „Das Beheizen klappt gut“, sagte Krusche am Telefon. Man müsse nur dann zu Schneeschieber und Streusalz greifen, wenn es massiv schneit oder die Temperatur in kurzer Zeit stark fällt - dann dauere es etwas, bis die Anlage die nötige Heizleistung erbringt. Auch wenn die Baufirmen und die OB-Zentrale bei diesem „wirklich innovativen Projekt“ zunächst mindestens fünf Jahre Erfahrungen sammeln müssten, kann Krusche dem Untemehmen Arcadis eines schon jetzt bescheinigen, eine „praktikable Technik“ entwickelt zu haben.

Diese Technik besteht aus einem kilometenangen System von Rohren und Sonden. Direkt unter dem Bahnsteig verlaufen Rohre mit einem Wärmeträgermedium, das im Sommer von der Sonne erwärmt wird. Die Wärme wird an zehn Sonden abgegeben, die sie in Gesteinsschichten in etwa 200 Meter Tiefe leiten. Das Gestein speichert die Wärme. Im Winter wird der Prozess umgekehrt: die Wärme aus der Tiefe gelangt über die Sonden in die Rohre und hält die Temperatur an der Bahnsteigoberfläche knapp über dem Gefrierpunkt.

Doch Krusche gefällt nicht nur die Technik. Die Barbiser Station entspreche insgesamt den heutigen Anspruchen der Fahrgäste Die Bahnsteige sind so hoch, dass es beim Einsteigen keine Stufe gibt, und in den gläsernen Wartehäuschen fühlen sich die Menschen vor allem im Dunkeln sicherer. „Ich habe das Gefühl, die Reisenden sind zufrieden“, schließt Krusche aus den Rückmeldungen.

Verkehrsgünstig: die kleine Station liegt direkt an der Bundesstraße 243
Foto: Janssen

Dass endlich der Parkplatz auf dem nahen Schützenplatz fertig ist, freut ihn natürlich. Das Umfeld gehöre nun einmal zu einem attraktiven Gesamtangebot. Frank Hartmann vom Kur- und Touristikbetrieb kann das bestätigen. Hier erhalte man zwar wenig Feedback zum Haltepunkt. Aber wenn, bemängelten die Fahrgäste, dass es in der Nähe keine Telefonzellen, Bushaltestellen oder Taxi-Standplätze gibt. „Dafür funktioniert der Bringdienst der Hotels“, ist Hartmann zufrieden.Jeden Tag nehmen etwa 300 Menschen das Angebot in Barbis an - sie steigen in einen der über 30 Züge, oder aus einem aus. Das sei für eine Station dieser Größe „in Ordnung“, sagt Detlef Krusche. Doch als er ergänzt, „man erhofft sich ja immer etwas mehr Zuspruch“, klingt der Bahnhofsmanager schon ein wenig enttäuscht. Schließlich ist er vom einmaligen Haltepunkt wirklich überzeugt. „Ich finde gut, was wir da gemacht haben“.


HarzKurier vom 13.12.2005:

Wärmespeicher in zweihundert Metern Tiefe

Bahnstation „Bad Lauterberg im Harz-Barbis“: Pilotprojekt mit beheizten Bahnsteigen

- von Boris Krajewski -

Etwa 92 Meter Länge und 55 Zentimeter Einstiegshöhe - die beiden Bahnsteige der neuen Bahnstation „Bad Lauterberg im Harz-Barbis“ verfügen über Traummaße. Sie sind abgestimmt auf die neuen Züge, die auf der Südharzstrecke verkehren und erlauben daher einen fast „ebenerdigen“ Einstieg. Gleichzeitig verfügen die Bahnsteige über eine „tolle, einmalige Technik“, wie es Hans-Joachim Meyer, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn für die Region Nord, formulierte.
Die Technik verbirgt sich unter der Oberfläche. In den vorgefertigten einzelnen Elementen der Bahnsteige befinden sich Rohre mit einem Wärmeträgermedium. Im Sommer wird der Bahnsteig ­und damit der Wärmeträger­ durch die Sonneneinstrahlung erhitzt. Über ein System von Rohren und Wärmetauschern wird die Wärme an Erdwärmesonden abgegeben, die sie wiederum in tiefere Gesteinsschichten leiten. Das Gestein erwärmt sich dadurch um mehrere Grad und speichert die Wärme. Wenn es im Winter dann auf dem Bahnsteig kalt wird, kehrt sich der Prozess um. Die Sonden Sonden geben nun die im Untergrund erhaltene Wärme an den Wärmeträger ab, der durch das Rohrsystem in die Bahnsteige geleitet wird und so dessen Oberflächentemperatur knapp über dem Gefrierpunkt hält. Im nächsten Sommer wird der „Wärmetank“ wieder aufgefüllt.
In Barbis wurden für diese neuartige Technik zehn Erdwärmesonden mit einer Gesamtlänge von 1800 Metern eingebaut, welche die Wärme in etwa 200 Meter tiefe Gesteinsschichten leiten. Das gesamte Rohrleitungssystem ist circa 12000 Meter lang und birgt 12000 Liter des Wärmeträgermediums.
Das Konzept nennt sich „Winner Way“ und wurde von der internationalen Consulting und Ingenieursgesellschaft „Arcadis“ entwickelt. In einem Konsortium mit dem Bahnbauunternehmen Frenzel-Bau und dem Rohrhersteller Rehau wurde die Bahnsteigheizung in Barbis geplant und errichtet. Sie ist die bundesweit erste ihrer Art.

GPS-Koordinaten
N 51.6190° E 10.4147°

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